Choreograf Tamir Ginz kommt mit seiner Company. © Bolotin
„Unsere Welt ist aktuell mit so vielen Kriegen konfrontiert, dass wir uns, glaube ich, alle nach Erlösung sehnen“, sagt Choreograf Tamir Ginz über seine „Matthäuspassion 2727“, mit der er ins Deutsche Theater kommt. © Eli Katz
Als Thomas Linsmayer die Leitung des Deutschen Theaters übernahm, war für ihn von Anfang an klar, dass neben Musical-Blockbustern, Revuen und Shows auch der Tanz wieder eine feste Säule im Spielplan seines Hauses werden soll (wir berichteten). Der jüngste Coup ist nun das Gastspiel der Kamea Dance Company aus Münchens Partnerstadt Be’er Sheva in Israel. Die Truppe wird sich zwischen 29. Oktober und 2. November mit zwei ihrer großen internationalen Erfolgsproduktionen vorstellen.
Ins Auge sticht vor allem die „Matthäuspassion 2727“. Denn dass sich ausgerechnet eine israelische Truppe an dieses fest in christlichen Traditionen verwurzelte Werk wagt, bringt natürlich einige Fragen mit. Dessen ist sich auch der künstlerische Leiter Tamir Ginz sehr wohl bewusst. Doch tatsächlich kam die Idee gar nicht von ihm, sondern ursprünglich aus Wuppertal, einer weiteren Partnerstadt Be’er Shevas mit großer Tanz-Tradition. Treibende Kraft war hier Arno Gerlach von der Kantorei Barmen-Gemarke, der den Kontakt zwischen Kamea und dem von Werner Erhardt geleiteten Barockorchester „l’arte del mondo“ herstellte. Und nach anfänglicher Skepsis war auch Tamir Ginz schnell sehr begeistert von diesem ambitionierten Projekt.
„Ich habe mich sehr intensiv darauf vorbereitet und fast drei Jahre lang das Neue Testament studiert, um die christlichen Traditionen besser zu verstehen. Das Konzept der Vergebung und den Glauben an das Gute im Menschen. Jesus lädt hier die Sünden der Welt auf sich, um damit der Menschheit einen neuen Anfang zu ermöglichen.“ Eine Botschaft, die er und seine kreativen Partner auch mit ihrem Projekt vorleben wollen. „Mein Vater hat Mauthausen überlebt, während Arnos Vater die Züge fahren musste, mit denen Juden in die Konzentrationslager gebracht wurden. Nach dem Krieg hat er seinem Sohn das Versprechen abgenommen, alles zu tun, damit so etwas nie wieder passiert. Das hat Arno immer getan und neben einem Schulaustausch noch viele andere Projekte organisiert. Dass jetzt die Söhne von Opfern und Tätern in Freundschaft zusammenarbeiten, hätte unsere Väter sicher sehr stolz gemacht.“
Der gegenseitige Respekt gebot für Tamir natürlich auch, dass er die Kürzungen in der Partitur ganz Dirigent Werner Erhardt überließ, der mit Bachs Musik aufwuchs. Am Ende entstand so eine auf rund 80 Minuten komprimierte Version, in der dennoch die Essenz der Passion erhalten blieb. „Unsere Welt ist aktuell mit so vielen Kriegen konfrontiert, dass wir uns, glaube ich, alle nach Erlösung sehnen. Als Künstler wünsche ich mir nichts mehr als Frieden. Das ist die Botschaft, die ich teilen möchte.“
Einen Bezug zu Deutschland und vor allem zu München hat auch das zweite Stück, das die Kamea Dance Company bei ihrem Gastspiel präsentiert. Orffs „Carmina Burana“ sind für Tamir Ginz dabei quasi der Gegenentwurf zur „Matthäuspassion“. Ein rauschendes Fest der Liebe, Freiheit und Lebensfreude, das sich im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt hat. „Die ursprüngliche Version haben wir 2008 bei den Olympischen Spielen in Beijing gezeigt und das Stück war danach auch auf unseren Tourneen immer ein Hit. Aber durch die Pandemie hatte ich Zeit, nun noch einmal mit frischen Augen draufzuschauen und es den neuen Mitgliedern in der Company auf den Leib zu schneidern. Was wir jetzt in München zeigen, ist eher ‚Carmina 2.0‘ mit neuen Kostümen, einer neuen Musikaufnahme und gut 40 Prozent neuer Choreografie.“ Diese Produktion nun in Orffs Geburtsstadt vorstellen zu können, erfüllt Tamir Ginz durchaus mit Stolz. „Ich hoffe, dass wir damit auch dem Münchner Publikum Freude bringen. Und wenn die Leute dann am Ende mit einem Lächeln nach Hause gehen, haben wir unseren Job richtig gemacht.“
TOBIAS HELL
Termine
„Carmina Burana“ läuft am
29. und 30. Oktober und die „Matthäus Passion 2727“ am
1. und 2. November; Telefon 089/55 234 444 oder
www.deutsches-theater.de.