Notizen aus den Jahren 2000/2001: Manfred Krug. © Verlag
Mit Lakonie, Härte, Ironie und Zynismus: Die Lektüre von Krugs Tagebüchern ist unterhaltsam und erkenntnisreich. © Rolf Haid/PA
„Ich kann nicht mehr.“ Am 1. Januar 2000 schreibt Manfred Krug diesen Satz in sein Tagebuch. Er ist 62 Jahre alt. Dies soll das letzte Jahr sein, in dem er als Schauspieler zu sehen sein wird. Der nächste „Tatort“ wird der letzte sein. Und so fällt nach 16 Jahren am 11. November 2000 die letzte Klappe für Kommissar Stoever. Was nicht heißt, dass Manfred Krug (1937 – 2016) so ganz aus der Öffentlichkeit verschwinden würde. Er ist ein erfolgreicher Autor, der bei Lesungen Säle füllt, und insbesondere ist er ein großartiger Swing- und Jazz-Sänger. Er wird geliebt und gefürchtet. Nie ein politisch und gesellschaftlich Angepasster, klug, gewitzt, furchtlos, selbstbewusst bis zur Überheblichkeit. Eine Melange, die besonderes Vergnügen bereitet, wenn man sich seinen Tagebüchern widmet. Nach den ersten beiden Bänden („Ich sammle mein Leben zusammen“ und „Ich bin zu zart für diese Welt“) ist jetzt Band 3 erschienen: „Ich beginne wieder von vorn“. Er umfasst die Jahre 2000 und 2001.
Was ist so fesselnd an diesen fast täglich notierten Notizen in ihrer absurden und übergangslosen Aufeinanderfolge – etwa von der Technik des Nasereinigens, über das Propaganda-Putin-Kinderbuch „Als Wowka noch klein war“ bis zur Liebeserklärung an Hollywood-Ikone Ingrid Bergman („Es ist glatt möglich, dass sie die einzige Frau ist, die ich je geliebt habe“). Direkt darunter die Meldung der Ermordung einer Asylsuchenden aus Afghanistan vor den Augen ihrer vier Kinder in der Neujahrsnacht durch deutsche Neufaschisten – „Eltern in der SED, Großeltern in der NSDAP, keine Toleranz, woher denn auch?“ Dazu kommt Krugs Notierung über die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft zum Thema Bettnässerei bei Knaben. Und natürlich, nie ausgespart, sein munter eingestreutes Abwatschen so mancher Mediengrößen und Schauspielkollegen. Er lässt auch die Pleite mit der Telekom-Aktie nicht aus, ebenso wenig wie allerlei Familienangelegenheiten. Man weiß schon recht gut Bescheid mit der Zumutung, die der große Macho Manfred Krug für seine Familie, für Frau Otti und seine Kinder sowie die Nebenfrau Petra mit der außerehelichen kleinen Tochter darstellt.
Was also machen diese Tagebücher so besonders? Sie sind gewiss nicht allein aus reiner Spontanität entstanden. Krug ist ein gewitzter Schriftsteller, der eine mögliche spätere Veröffentlichung bereits im Auge hat. Er weiß um die Gleichzeitigkeit der Dinge. Er weiß, dass Alltag und Weltgeschichte scheinbar zusammenhanglos unser Leben regieren. Dass das Banale durch das Politische seine Bedeutung erfährt. Dass Größe und Lächerlichkeit, Intelligenz und Blödheit, privates Glück und gesellschaftliche Gefahr deckungsgleich aufeinandertreffen. Das macht die Lektüre so unterhaltsam und gleichsam erkenntnisreich. Als Krug vom Ehepaar Stoiber zum Bayerischen Fernsehpreis 2000 eingeladen wird, nicht ohne den Hinweis auf „festliche Kleidung“, notiert er: „So was habe ich gar nicht. Freundlich abgesagt.“ Als Staffage? Das hat er nicht nötig.
Geradezu visionär ist die Wiedergabe eines Gesprächs vor fast einem Vierteljahrhundert mit dem DDR-TV- und Filmregisseur Hans Heinrich: „Hans sprach auch über die blöde Sahra Wagenknecht von der PDS, die in allerlei Talk-Shows ihre Sehnsucht nach dem schweinemäßigen DDR-System nicht verbergen kann.“ Ebenso vorausschauend sein Tagebucheintrag zu Gregor Gysi, der eine brillante Abschiedsrede vor seiner Partei gehalten habe: „Er konnte gar nicht anders, als in groben Umrissen schon jetzt zu zeigen, woran diese Partei untergehen wird: an ihrer Doofheit.“
Lakonie, Härte, Ironie und Zynismus sind die Markenzeichen Manfred Krugs. Die Würze liegt im Widerspruch dazu, in der Poesie der Kunst, der Liebe zu seinen Nächsten, im Respekt vor den wahren Könnern und der gefühlvollen Erinnerung an seinen Vater, der, bevor er in Hitlers Krieg ziehen musste, ihm den Plattenspieler, die Schachtel mit den Grammofonnadeln und den Schlüssel zum Plattenschrank übergab. Immer wieder habe er, der Achtjährige, die Schlagerplatte gespielt „Komm zurück, ich warte auf Dich“.
Übrigens: Der Buchtitel zitiert einen der letzten Einträge Manfred Krugs vom 27. Dezember 2001. Nicht philosophisch gemeint, bezieht er sich auf seine permanent angestrebte Gewichtsreduzierung: „Heute beginne ich wieder von vorn. Bei 118 Kilo fange ich erneut an.“ Ein vierter Band ist hoffentlich in Arbeit.
SABINE DULTZ
Manfred Krug
„Ich beginne wieder von vorn“. Tagebücher von 2000 – 2001. Kanon Verlag, Berlin, 272 Seiten; 24 Euro.