PREMIERE

Gelungene Gruppentherapie

von Redaktion

„Toc Toc“ – Komödie im Bayerischen Hof zeigt launigen Seelenstrip

Therapieren sich gegenseitig: Karsten Speck, Aline Hochscheid, Natalia Avelon, Maximilian Laprell und Cheryl Angelika Baulig (v. li.). © Alvise Predieri

Typische Wartezimmer-Ungemütlichkeit verströmt das Bühnenbild von Thomas Riemenschnitter. Von der Decke hängt eine gleißend helle Büroleuchte. In der Mitte des Raumes befinden sich sechs Stühle. Nach und nach trudeln die Patientinnen und Patienten ein. Sie alle erscheinen, um sich von dem sagenumwobenen Psychiater Doktor Stern bei ihren Problemen helfen zu lassen. Doch der erscheint einer Zugverspätung wegen gar nicht. So sitzen schließlich fünf von den unterschiedlichsten Zwangsstörungen gebeutelte Menschen in der verwaisten Praxis beieinander. Kommen ins Gespräch und beginnen, sich gegenseitig zu therapieren. Mit erstaunlichem Erfolg.

„Eine komödiantische Seelenmassage“ nannte der französische Autor Laurent Baffie sein Stück „Toc Toc“, das jetzt in der Komödie im Bayerischen Hof in München Premiere feierte. Und machte damit auch schon klar, dass man keine klinisch korrekte Darstellung der jeweiligen Symptome erwarten darf. Vereinfachende Klischees dienen zur Charakterisierung. Wer eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Krankheitsbildern sucht, kann sich an anderen Orten mit Informationen eindecken. „Toc Toc“ ist klassischer Boulevard. Aber guter, keine Frage. Da lässt sich problemlos verschmerzen, dass die medizinischen Grundlagen des Theaterstücks sich ausschließlich auf dem Niveau der „Apotheken-Rundschau“ bewegen.

Karsten Speck fällt die undankbare Aufgabe zu, den Mann mit Tourette-Syndrom spielen zu müssen. Sein Fred erntet damit vom ersten „Arschlöcher!“ an zwar die meisten Lacher. Allerdings sind die für einen Schauspieler von Specks Format doch eigentlich arg billig geschossen. Nächster Patient ist der von Zahlen besessene Taxifahrer Vincent (Maximilian Laprell), der „dreizehneinhalb Monate“ auf den Sprechstundentermin gewartet hat und sich allein deswegen schlichtweg weigert, das Wartezimmer wieder zu verlassen. Wenn er nicht endlich lernt, mit dem permanenten Rechnen und Zählen aufzuhören, werde ihn seine Frau verlassen, jammert der Bayer, den man überflüssigerweise in Lederhosen gesteckt hat. Die elegante Blanche (Aline Hochscheid), in elegantes Champagnerbeige gekleidet, muss ihre Neurose gar nicht erklären. Die ist bereits vom ersten Feuchttüchlein-Zücken an klar, noch ehe sie das Desinfektionsspray aus der Handtasche geholt hat.

Thea Seibert von Fock spielt die verhuschte Bibliothekarin Lili, deren Ecclesiophobie sie bei jeder Erwähnung von kirchlichen Begriffen zusammenzucken lässt. Als perfekte Ergänzung dazu taucht die ganz in Schwarz gewandete Polin Marie (Natalia Avelon) auf, die sich schon angesichts der Schimpfwort-Dichte von Fred andauernd bekreuzigt. Wenn sie nicht gerade überlegen muss, ob sie zu Hause auch wirklich den Wasserhahn ausgestellt und die Tür abgeschlossen hat. In einer selbst ersonnenen Gruppentherapie versuchen sich die Patienten von ihren jeweiligen Ticks zu heilen. Wobei ziemlich schnell klar wird, dass die Ursachen für die Arithmomanie oder Mysophobie meistens nicht im Offensichtlichen liegen.

Regisseur Rene Heinersdorff bringt die launige Komödie, die jedoch schon einige Jahre auf dem Buckel hat, als einen zeitlos-flotten Schwank auf die Bühne der Komödie im Bayerische Hof. Das großartige, präzise agierende Ensemble begeistert von der ersten Minute an mit seiner sichtlichen Spielfreude. Und nach ein paar etwas holpernden Minuten kommt ein beachtlich hohes Tempo auf, das bis zum Schluss scheinbar anstrengungslos beibehalten wird. Das Beste an dieser Inszenierung ist aber nicht ihr passgenauer Schwung. Oder die Tatsache, dass subtil für mehr Empathie und gesellschaftliche Akzeptanz geworben wird. Sondern das stimmige, perfekt getimte Zusammenspiel. Keiner produziert sich auf Kosten der anderen. Sie alle, auch Cheryl Angelika Baulig als Arzthelferin und kluge Dompteurin dieser Menagerie, spielen nicht neben-, sondern immer miteinander. Zwar zündet nicht jeder Gag gleich laut. Trotzdem bietet das Stück jedem die Möglichkeit für eine oder sogar zwei richtig tolle Glanznummern. Ein Satz gibt den nächsten, munter perlen die Dialoge dahin. Ein rundherum gelungener Spaß. Dringende Empfehlung.
ULRIKE FRICK

Vorstellungen

bis 24. November, Termine und Vorverkauf unter www.komoedie-muenchen.de.

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