Eine Liebeserklärung ans Schreiben

von Redaktion

Benedict Wells stellt im Münchner Literaturhaus sein neues Buch vor

Persönlicher wird’s nicht: Diesmal hat Wells seine eigene Geschichte erzählt. Jacob Brass begleitet ihn an der Gitarre.

Schöne Worte füllen Hallen: Der Abend mit Benedict Wells und Jacob Brass im Literaturhaus war sofort ausverkauft.

Wir alle sind die Geschichten in uns: Benedict Wells stellte im Literaturhaus München sein neues Buch vor. Es ist eine Mischung aus Autobiografie und Schreibwerkstatt. © Jens Hartmann (3)

Es war Zeit für eine Liebeserklärung. An das Schreiben, an die schönsten Bücher dieser Welt, an die innere Stimme, die manchmal so leise und so leicht zu überhören ist. Benedict Wells sitzt auf der Bühne im Münchner Literaturhaus. Vor ihm liegt ein Buch, das er eigentlich gar nicht schreiben wollte. Sein persönlichstes. Seine Geschichte. Die, die er so lange nicht erzählen konnte. „Und dann kam sie mit voller Wucht durch die Hintertür.“

Dass seine Worte große Hallen füllen, weiß der 40-Jährige seit seiner Lese-Tour für seinen Roman „Hard Land“. Die neue Tour soll etwas kleiner werden, persönlicher. Deshalb verfolgen den Abend 500 Menschen über einen Livestream, weil die Plätze im Literaturhaus innerhalb weniger Stunden ausverkauft waren. Vor Wells steht eine alte Schreibmaschine. Dekoration. Aber wie könnte er sie ignorieren. „Ich bin es nicht. Ich bin’s“, hat jemand auf das Papier getippt. Dieses Zitat von Ingeborg Bachmann erinnert Wells an einen ihrer anderen Sätze: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Dafür ist er heute hier.

In diesem Fall ist die Wahrheit seine eigene Geschichte. Seine Kindheit, die er großteils im Internat verbrachte. Seine Mutter litt an einer psychischen Krankheit, sein Vater kämpfte immer wieder mit Geldnot. Doch trotz aller Schwierigkeiten gaben sie ihm das, was ihn noch heute trägt: Liebe – und Bücher. „Lesen kann einen in manchen Situationen retten“, sagt er. Als er ein Kind war, ist über psychische Krankheiten nicht gesprochen worden. Und auch Kinder, die im Internat aufwuchsen, kamen in Büchern kaum vor. Das war diesmal die Tinte für sein neues Buch. Ihnen möchte er eine Stimme geben.

„Man braucht ein bisschen Glück in solchen Momenten“, sagt er. „Man braucht Menschen, die einem Selbstvertrauen geben.“ Zwei davon sitzen im Publikum. Zwei seiner ehemaligen Lehrer. Es gibt an diesem Abend viele emotionale Momente für Benedict Wells. Aber das ist der Augenblick, in dem er am stärksten gegen die Tränen kämpfen muss. Für sein Danke braucht er wenige Worte: „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viel das bedeutet hat.“

„Die Geschichten in uns“ ist aber viel mehr als eine Biografie. Es ist eine Schreibwerkstatt. Wells berichtet mit viel Humor und in Fußnoten verpackten Anekdoten, wie er jahrelang krachend gescheitert ist, bevor sein erstes Buch veröffentlicht wurde. Und er verrät, welche Werkzeuge er entdeckt hat, um seine Sprache zu finden. Außerdem ist das Buch eine Verneigung vor all den Büchern, die ihn durch sein Leben begleitet haben. Vor Autoren wie John Irving oder Carson McCullers, die für seine Gefühle lange vor ihm Worte gefunden haben. Vor allem aber hat sein Buch eine Botschaft: „Das Einzige, was man selbst in der Hand hat, ist das Durchhalten“, schreibt er. „Scheitern beim Schreiben bedeutet nicht, mit einer Buchfassung zu scheitern; scheitern beim Schreiben bedeutet, dass man entweder gar nicht erst anfängt oder irgendwann aufgibt.“

Und das gilt nicht nur fürs Schreiben. An seiner Seite hat Wells wie schon bei früheren Touren den Münchner Gitarristen Jacob Brass. Auch seine Lieder drehen sich um Identität, Selbstzweifel, um Liebe und Verlust. Und um erdrückende Erwartungen an sich selbst. Vor einem Jahr waren die Zweifel so groß, dass er überlegte, aufzuhören mit der Musik, erzählt er. „Damals hat Benedict zu mir gesagt: Versuch den Ball so hoch zu werfen, wie du kannst.“ Dann ist ein wunderschöner, sehr persönlicher Song entstanden, den Brass an diesem Abend spielt. „Hör nicht auf“, sagt Wells danach zu seinem Freund. „Hör nie auf.“ Das ist sein Appell. Wir alle sind die Geschichten, die wir in uns tragen. „Nicht nur die, die wir erlebt haben, sondern auch die, die wir anderen und uns selbst erzählen.“ Und im besten Fall fühlt man sich in den Geschichten von anderen verstanden.
KATRIN WOITSCH

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