Tenor Julian Prégardien sang zwei Bach-Arien und eine Choral-Zugabe. © SIMON HASENEDER
Das Balthasar-Neumann-Ensemble spielte im Elektra Tonquartier ein barockes Programm – der Klang im so gut wie schalltoten Raum wurde elektronisch mit künstlichem Hall angereichert. © SIMON HASENEDER
Da gibt’s nichts zu Lachen, und doch platzt es aus Tenor Julian Prégardien heraus. Am Ende der Choralzeile von „O Gott! Der du aus Herzensgrund die Menschenkinder liebest“ steht der Schlussakkord im Raum und verlängert sich wie im Kirchenüberhall. Das ist komisch, überraschend (und natürlich auch beeindruckend), weil man sich hier im Elektra Tonquartier befindet. Knapp 500 Plätze, eine sanft ansteigende Tribüne mit grauen, bequemen Polstersesseln, rote vertikale Lichtstreifen an den Wänden täuschen Säulen vor – die Edel-Version eines Cineplexx-Kinos. Vor allem aber: Eigentlich ist der Raum so gut wie schalltot, ein Studioklang.
Mix aus Bach und Telemann
Vergangene Woche wurde Münchens neuer Konzertsaal eröffnet, im Aubinger Bergson-Kunstkraft, weit im zahmen Westen der Stadt. Damals mit Jazz, jetzt ist die Klassik dran. Das „erste akustische Konzert“, wie Moderator Maximilian Maier sagt, der Mann flunkert ziemlich. Denn auch hier sind 24 Mikrofone und 80 Lautsprecher im Einsatz. Je nach Ensemble kann der Raumklang aufgehübscht und verändert werden. Beim Gastspiel des Balthasar-Neumann-Ensembles mit Prégardien und einem 75-minütigen Telemann-Bach-Programm wählt die Technik die Einstellung „Konzertsaal“.
Und tatsächlich: Wo einem eben noch der Ton vor die Füße gefallen ist, hat die Musik plötzlich Raum, Trenn- und Trennschärfe, kann atmen, sich entfalten. Die Balthasar-Neumann-Truppe spielt mit Viererbesetzung in den Geigen, dazu Holzbläser, drei Trompeten, Pauken. Jede Instrumentengruppe, jedes Solo ist definiert, alles fügt sich trotzdem zusammen. Den Elektra-Technikern hilft, dass dieses Kammerorchester nicht übermäßig offensiv gelaunt ist. Die Telemann-Pasticci, Zusammenwürfelungen aus verschiedenen Werken, dazu Bachs dritte Orchestersuite tönen fein abgeschmeckt, delikat, domestiziert. Wie der Saal klingt und bewältigt wird bei heftigeren Pegelausschlägen, hätte man gern gewusst.
Elektronische Hilfestellungen für eine dürftige Akustik sind nichts Neues. Die Royal Albert Hall in London arbeitet zum Beispiel damit, das Opernhaus in Sydney oder die Berliner Staatsoper Unter den Linden. Im Elektra Tonquartier treibt man dies auf die Spitze. Geschätzte zwei Sekunden künstlicher Nachhall wird für die Klassik erzeugt. Es ist vom Höreindruck her an der Obergrenze, kurz bevor die Absicht zu offenkundig wird. Vielleicht kann sich die Technik, entwickelt vom Planegger Akustikbüro Müller-BBM, eine Spur mäßigen. Eine Kinderkrankheit auch: An leisen Stellen wird das Rauschen der Klimaanlage, das unter diesen Umständen ja ebenfalls verstärkt wird, vernehmlich. Und dass die Bar eine Stunde vor Konzertbeginn am Sonntagabend schließt und sich vor dem ersatzweisen Getränkestand eine lange Schlange bildet, muss auch nicht sein.
Die Technik spielt mit dem Raumklang
Nachmittags, beim ersten Konzert ohne Julian Prégardien, war der Saal nach Angaben von Programmdirektor Maximilian Maier voll, um 19 Uhr, mit Tenor und beim zweiten Durchlauf, bleibt geschätzt ein Drittel der Plätze leer. Prégardien, der als Magnet für diese Klassik-Premiere gedacht war, hat mit seinen beiden Bach-Arien Mühe. Direkt vom Flieger ist er auf die Bühne gekommen, man hört es. Dafür wird die Zugabe umso charmanter. Beim Choral spielt die Technik mit ihren Möglichkeiten: erst die Konzertsaal-Einstellung, dann ganz ohne Tricksen, schließlich der Kirchen-Eindruck. Man staunt und schmunzelt. Für Solisten unter Form müsste halt noch ein technischer Kniff entwickelt werden.
MARKUS THIEL