Die Schwedin Lina Wolff erzählt vom Beziehungshorror und führt an den Abgrund menschlichen Seins. © Gustav Bergman
„Wie Gott den Menschen schuf, so schafft sie den Mann.“ Sie, das ist eine Skandinavierin, beherrscht als Übersetzerin mehrere Sprachen, ist gebildet, finanziell unabhängig und will in Florenz neu anfangen: frischer, munterer als im Norden. Er, das ist ein schmuddeliger, dicklicher Italiener, Angestellter, den sie auf Zack bringt. Beider Namen erfahren wir nie; sie nennen einander in spaßiger Erniedrigung Minnie und Mickey. So größenwahnsinnig die weibliche Erzählfigur per innerem Monolog in die Geschichte ihrer zweiten Lebensphase einsteigt, so katastrophal entwickelt diese sich.
Die schwedische Schriftstellerin Lina Wolff (Jahrgang 1973) macht in ihrem Roman „Teufelsgriff“ nicht die übliche toxische Mann-Frau-Beziehungskiste auf, sie möchte die Lesenden an den Abgrund des menschlichen Seins führen. Wir erfahren alles ausschließlich aus der Perspektive der Frau, können also nie definitiv einschätzen, was Realität ist, was Klischee (pausenlos sexuell muntere Italienerinnen und Italiener), was psychische Krankheiten zwischen Trauma und Depression, was verquere Haltung zur Sexualität (Lust ist der „Teufelsgriff“), was Dämonenglaube, was christliche Spiritualität. Und was vernünftige Überlegungen.
Wolff bringt die Gewaltspirale heftig in Schwung, beginnend mit der grauenvollerweise alltäglichen häuslichen Brutalität und der (Selbst-)Demütigung von Frauen bis zum übertriebenen Horrorfilm-Konstrukt im New-Orleans-Teil des Romans und dem Ende in Italien, wo der Mann die Genitalverstümmelung der Frau durchsetzen will. Die Autorin versucht, das tödliche Netz von Besessenheitsliebe, sexueller Abhängigkeit, schwachem Selbstwertgefühl und Gewalt nicht nur nach gängigen psychologischen und gesellschaftlichen Mustern, sondern auch aus einem magischen Denken heraus zu analysieren. Das gelingt, allerdings wirkt das Erzählkonstrukt recht bemüht.
SIMONE DATTENBERGER
Lina Wolff:
„Der Teufelsgriff“.
Aus dem Schwedischen von
Stefan Pluschkat. Rowohlt Verlag, Hamburg, 254 Seiten; 25 Euro.