Menschen im Blick

von Redaktion

Das Architekturmuseum der TU zeigt die wichtige Schau „Visual Investigations“

New Yorks Polizei geht gegen friedliche Demonstranten vor. Videos, die das Verhalten der Beamten während diverser Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung 2020 dokumentieren, sind Teil der Ausstellung „Visual Investigations“. © SITU Research, 2023

Gleich am Eingang leuchtet uns eine grüne Warntafel entgegen: die Ausstellung, liest man, zeige Bilder von Gewalt, „die verstörend oder belastend wirken können“. Und da ist tatsächlich was dran, denn schon die erste Station enthält Videos von gewalttätigen Übergriffen der New Yorker Polizei gegen friedliche Demonstranten. Noch verstörender ist es aber, wenn einem dabei einfällt, dass ähnliche, sogar brutalere Bilder vor einigen Jahren auch in Berlin entstanden, wo die Polizei so brutal gegen gewaltlose Demonstranten vorging, dass sich sogar der UN-Sonderberichterstatter für Folter einschaltete.

Deutlich wird daran: Menschenrechtsverletzungen sind nicht nur ein Problem ferner Weltgegenden, sondern gehen stets uns alle unmittelbar an – auch wenn die Ausstellung „Visual Investigations“, die das Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne zeigt, hauptsächlich Fälle aus anderen Kontinenten dokumentiert. Da geht es beispielsweise um „Geofernerkennung und Landenteignung im Westjordanland“ oder um „Ermittlungen zum Netzwerk von Internierungslagern“ in China, von denen die USA sagen, dass dort ein Genozid an Uiguren stattfinde. Wobei man natürlich fragen könnte, mit welchem Recht eine Weltmacht, die das Lager Guantanamo betreibt, den Moralwächter über eine andere Weltmacht spielt.

Aber auch lange zurückliegende Verbrechen versuchen Menschenrechtsorganisationen und Recherchenetzwerke nachträglich zu rekonstruieren. So beschäftigt sich eine Station der Ausstellung mit den sogenannten Todesflügen, bei denen das mexikanische Militär in den Siebzigerjahren die Leichen von ermordeten Oppositionellen über dem offenen Meer aus Flugzeugen warf, um sie so verschwinden zu lassen.

Und wie kommt eine solche Ausstellung jetzt ausgerechnet ins Architekturmuseum? Sicher, die Bauwerke mancher Architekten mögen auch eine Art Menschenrechtsverletzung darstellen – aber solche Scherze sind dem erschreckenden Thema wenig angemessen. Die Verbindung besteht vielmehr darin, dass architektonische Skizzen, Modelle, 3DSimulationen oder Lagepläne in Kombination mit Zeugenaussagen und Videoaufnahmen heute als Hilfsmittel genutzt werden, um Menschenrechtsverletzungen aufzuklären. Damit die Schau aber nicht zu brutal einerseits und zu kriminaltechnisch-trocken andererseits wirkt, zeigt sie auch eine kleine Geschichte „bildbasierter Ermittlungsverfahren“: von frühen Luftaufnahmen aus Fesselballons über MiniKameras an Brieftauben bis hin zu Google-Earth-Bildern.

Doch bei aller Bewunderung für die mühevolle Arbeit der architektonisch bewanderten Detektive hinterlässt der Besuch einen mulmigen Eindruck. Schließlich können „Visual Investigations“, wie alle technischen Neuerungen, nicht nur für redliche Zwecke genutzt werden, sondern man muss befürchten, dass auch Machtapparate jeglicher Couleur sie zum Zweck der Repression und Verfolgung Oppositioneller einsetzen werden. Dagegen helfen dann leider keine Warntafeln mehr.
ALEXANDER ALTMANN

Bis 9. Februar

Di.-So. 10 bis 18 Uhr,
Do. bis 20 Uhr;
www.pinakothek.de.

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