Ibsen süß-sauer

von Redaktion

Johannes Holmen Dahl inszenierte „Die Wildente“ fürs Staatsschauspiel

Zurück im Münchner Ensemble: Oliver Nägele als Ekdal.

Nur durchs Fenster strahlt die Stadt herein: Im leeren, dunklen Bühnenraum entwickelt sich die Tragödie der Familie Ekdal um Tochter Hedwig (Naffie Janha, li.) und Mutter Gina (Anna Drexler). © Birgit Hupfeld (2)

Ein bisschen wirkt es, als habe Gregers Werle, dieser Idealist im „Rechtschaffenheitsfieber“, die Ausstattung im Münchner Cuvilliéstheater gleich mit besorgt: Die Bühne ist aufgerissen bis zur Brandmauer; ist der Fensterladen geöffnet, braust draußen der Stadtverkehr vorbei. Keine Kulisse, keine Illusionen, keine Requisiten – bis auf die eine, tödliche. Nichts als die Wahrheit also in Johannes Holmen Dahls Inszenierung von Henrik Ibsens Tragödie „Die Wildente“. Ganz so, wie es Gregers Werle fordert, der überzeugt davon ist, dass sein Vater dem Tagträumer Hjalmar Ekdal mit der 14-jährigen Hedwig ein Kuckuckskind untergejubelt hat – und die Ekdals finanziell pampert, weil er ja einst ein Verhältnis mit Hjalmars Frau Gina hatte. Doch statt des ehelichen Zusammenlebens in „Wahrheit und Aufrichtigkeit“, das Gregers mit seinen Enthüllungen für die Ekdals erreichen möchte, stürzt er die Familie in tiefstes Unglück.

Dahl, 1985 in Oslo geboren, ist ein Shootingstar des norwegischen Theaters. Er hat sich nun das 1885 uraufgeführte Drama seines Landsmanns Henrik Ibsen (1828-1906) für seine erste Regiearbeit in Deutschland ausgesucht. Am Donnerstag war Premiere des zweistündigen Abends, der sich eng an den Text hält.

Im nackten Raum setzt Dahl ganz auf die Kraft der Worte. Das ist möglich, weil er ein wunderbares Ensemble hat – und dennoch dauert es, bis die Tragödie ihre Wucht entfaltet. Der Inszenierung fehlt ein eigener Zugriff, vor allem aber fehlt ihr das Tempo – gerade im ersten Teil. Der ist schon sehr gediegen und getragen. Wirklich sehr.

Immerhin einen starken Einfall hatte der Regisseur für diesen süß-sauren Ibsen: Die österreichische Schlagzeugerin Teresa Müllner sitzt am linken Bühnenrand und begleitet die „Wildente“ in den Tod. Ihr Spiel nach Kompositionen von Alf Lund Godbolt kommentiert und persifliert das Geschehen, greift voraus und treibt an (endlich!). Die Musikerin lässt Gewitter losbrechen und Gefühle hochkochen, kann aber auch den Klangteppich bereiten für das muntere Familienleben bei den Ekdals, bevor die Illusionen platzen. Müllners Rhythmus ist genau, mitreißend und bringt der Inszenierung eine weitere Ebene, die diese so dringend benötigt.

Die Produktion steht zudem im Zeichen der Rückkehrer: Der wunderbare Oliver Nägele, lange Jahre im Ensemble von Dieter Dorn, erst an den Kammerspielen, dann am Staatsschauspiel, ist nach seinem Ausflug ans Wiener Burgtheater zurück am Residenztheater. Er gibt dem alten, verarmten Ekdal eine berührende Hilflosigkeit, bei der jedoch stets die Kraft und das Ansehen durchschimmern, die dieser Mann einst besessen haben muss.

Außerdem ist Anna Drexler endlich mal wieder auf einer Münchner Bühne zu erleben. Noch als Falckenberg-Schülerin ist sie einst kurzfristig als Sonja in „Onkel Wanja“ an den Münchner Kammerspielen eingesprungen – und feierte mit dieser Rolle zu Recht einen großen Erfolg. Sie ging dann ins Ensemble der städtischen Bühne, wechselte vor sechs Jahren allerdings ans Schauspielhaus Bochum. Seit dieser Spielzeit ist sie nun im Ensemble des Residenztheaters. Als Gina Ekdal gelingt ihr hier das Porträt einer Frau, die nach außen die Fassade wahren möchte, derweil sie die Katastrophe kommen sieht, die nicht nur ihren Lebenssinn hinwegspülen wird.

Max Mayer ist der Einzige, der Dahls psychologisches Konzept unterläuft, indem er seinen Doktor Relling hart an der Grenze zur Karikatur ansiedelt. Das wiederum passt, schließlich ist der Arzt mit seinem herrlichen Skeptizismus bereits bei Ibsen ein Außenseiter, der weiß, dass der Mensch mitunter ein paar Lebenslügen braucht, um Frieden zu finden.

Dass diese Premiere indes überhaupt stattfinden konnte, ist Oliver Stokowski zu verdanken, der von Intendant Andreas Beck als „schwer erkrankt“ angesagt wurde, den Großhändler Werle trotzdem mit der angebrachten großspurigen Lässigkeit spielte – aber beim freundlichen Schlussapplaus nicht mehr dabei war.
MICHAEL SCHLEICHER

Nächste Vorstellungen

am 20., 23. und 27. Oktober;
Telefon 089/21 85 19 40.

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