Ein starkes Duo: Lucian Krasznec glänzt mit höhensicherem Tenor als Don José, Sophie Rennert hat in der Titelrolle kein laszives Räkeln nötig – ihre Carmen kann ganz auf das sinnliche Timbre ihres dunkel lodernden Mezzos vertrauen. © Markus Tordik/Gärtnerplatztheater
„Carmen“ zählt zu jenen Titeln, die sich kein Theater entgehen lässt. Mit einer Partitur, in der ein Ohrwurm den nächsten jagt, ist Bizets Dauerbrenner ein absoluter Publikumsmagnet. Aber eben auch ein Stück, das mit vielen Klischees zu kämpfen hat. Während die Bayerische Staatsoper seit rund drei Jahrzehnten die Überreste von Lina Wertmüllers traditionsbewusster Kostüm-Parade pflegt, zeigt das Gärtnerplatztheater in derselben Zeitspanne nun bereits die dritte Neuinszenierung des Klassikers. Und hat im direkten Vergleich klar die Nase vorn.
Herbert Föttinger verlegt die Handlung in die Franco-Zeit
Verantwortlich zeichnet dafür diesmal Regisseur Herbert Föttinger, der die Handlung in die Zeit der Franco-Diktatur verlegt und ein intimes Kammerspiel zeigt, das vor allem von kleinen subtilen Gesten lebt. Wenn sich der Vorhang hebt, gibt es bei ihm kein Postkarten-Sevilla zu sehen und erst recht keine verklärte „Zigeuner-Romantik“. Stattdessen Soldaten, die akribisch ihre Stiefel polieren, um vor den strengen Augen des Hauptmanns zu bestehen. Eine von den Nachwehen des Krieges gezeichnete Welt, in der jeder um seinen Platz kämpfen muss. Und so ist es nur konsequent, dass der putzige Kinderchor diesmal ebenso gestrichen ist wie das volkstümliche Treiben im Final-Akt, wo der große Aufmarsch des Chores schnell hinter die Szene verbannt wird und das Geschehen bis zum Schluss ganz auf die vier Hauptfiguren fokussiert bleibt.
Getragen wird der Premierenabend vor allem durch Sophie Rennert, die in der Titelrolle kein laszives Räkeln nötig hat. Ihre Carmen kann ganz auf das sinnliche Timbre ihres dunkel lodernden Mezzos vertrauen und weiß in jeder Sekunde um den Reiz, den sie auf das andere Geschlecht ausübt. Wobei sie von Föttinger keineswegs als reine Männerfantasie inszeniert wird und dank ihrer Bühnenpräsenz immer die Kontrolle über das Geschehen behält. Schon die berühmte „Habanera“ ist bei Rennert nicht einfach nur die vom Publikum sehnsüchtig erwartete Wunschkonzertnummer, weil sie die feinen Nuancen in den einzelnen Strophen stets aus dem Text heraus entwickelt.
Dass José ihr die kalte Schulter zeigt und lieber einen Brief an die Mutter schreibt, macht ihn vor allem zu einer Herausforderung. Zusätzlich angefeuert durch das melancholische Duett mit seiner Jugendliebe Micaela, das von Carmen aus dem Hintergrund milde belächelt wird. Lucian Krasznec spielt seine lyrische Vergangenheit hier noch einmal in vollendeter Perfektion aus, ehe sich später das dramatische Potenzial seines höhensicheren Tenors entfalten darf. Ein reizvolles Wechselspiel, von dem die intensiv durchlebte Blumenarie ebenso profitiert wie das beklemmende Finale, in dem sein José endgültig in den Wahnsinn hinüberdriftet.
Diese Inszenierung passt einfach ideal ins Gärtnerplatztheater
Keineswegs zurückstecken muss neben diesem starken Duo aber der von allen umschwärmte Escamillo, der für Carmen erst dann interessant wird, als er ihr dieselbe gleichgültige Arroganz entgegenbringt, mit der sie die Männerwelt foltert. Timos Sirlantzis gibt dem Torero dafür neben seinem raumgreifenden Bass ebenfalls eine ordentliche Ladung Testosteron mit. Ähnlich aufgewertet wird auch die sonst gern zur Unschuld vom Land reduzierte Micaela, die von Ana Maria Labin mit viel Selbstbewusstsein ausgestattet wird und sich sehr wohl gegen die übergriffigen Soldaten zu wehren weiß. Wenn es sein muss, auch mal mit einem gut platzierten Knie.
Sicher aufgehoben fühlen darf sich das Ensemble dabei in den Händen von Chefdirigent Rubén Dubrovsky. Er findet die nötige Leichtigkeit für Szenen wie das launige Schmuggler-Quintett, verleiht den emotionalen Momenten die nötige Dringlichkeit. Schielt nicht zur Grand Opéra, sondern geht zurück zu den Opéra-Comique-Wurzeln des Stücks, das im intimen Rahmen des Gärtnerplatztheaters einfach ideal aufgehoben ist.
TOBIAS HELL
Weitere Aufführungen
am 24. und 27. Oktober sowie 14./17./22./30. November und 20./22. Dezember;
Karten unter 089/ 21 85 19 60.