Liebe und Hoffnung für Nick Cave

von Redaktion

Der von Gott gebeutelte Sänger gibt in der Olympiahalle ein erhaben glänzendes Konzert

Gospelsängerinnen trugen zur Spiritualität bei.

Moses am Bass: Warren Ellis, die rechte Hand des Sängers.

Slogans im Hintergrund: Die Bad Seeds tosten wie die himmlischen Heerscharen zu einprägsamen Textzeilen.

Auf Tuchfühlung: Nick Cave tankte in der Olympiahalle die Kraft und die Liebe seiner Fans. © Martin Hangen

Ganz am Ende, als der Maßanzug komplett durchgeschwitzt ist und Nick Cave gut zweieinhalb Stunden getobt, gewütet, gepredigt und gefleht hat, als hinge sein Leben davon ab (und womöglich tat es das), als seine Begleiter, die Bad Seeds, schon abgekämpft in der Garderobe rumhängen, singt er sein Glaubensbekenntnis allein am Klavier. „Into my Arms“ handelt davon, dass er eigentlich nicht an einen Gott glaubt, der sich einmischt in die Geschicke der Menschen. „But I believe in Love“, singt Cave und lächelt seine Fans an. „Ich glaube an die Liebe, und ich weiß, ihr tut es auch.“ Und aus dem Rund schallt es beseelt: „Into my Arms, oh Lord“.

Nick Cave war schon immer dem prekären Verhältnis von Gott und den Menschen auf der Spur. Die Songs des Australiers wimmeln von Sündern, biblischen Strafen, Rache und Tragödie. Und er transportierte diese Geschichten stets mit dem Furor des Erleuchteten, der in Zungen spricht – als Johnny Cashs legitimer Erbe im „Ich klinge wie Jehova auf dem Berg Sinai“- Fach. Doch es wirkte stets wie eine Inszenierung. Eine gute zwar, aber eben doch ein gewaltiges Feuer-und-Schwefel-Schauspiel.

Doch dann ereilte ihn selbst eine Katastrophe biblischen Ausmaßes. Er verlor innerhalb von sieben Jahren seine Söhne Arthur und Jethro. Seither hat er das öffentliche Trauern als Kunstform auf eine neue Ebene gehoben. Sei es als Musiker, Autor oder Ratgeber – in seinen „Red Hand Files“ im Internet antwortet er auf Fragen seiner Fans und unterstützt sie in ihren Nöten. Er ist das multimediale Gesicht der Theodizee, der uralten Frage, wie ein gütiger Gott es zulassen kann, dass den Menschen Schlimmes widerfährt. Und er macht es wie Hiob, sein gebeuteltes Vorbild im Alten Testament. Er macht einfach weiter.

Dieser Hintergrund verleiht auch dem Konzert in der fast ausverkauften Olympiahalle eine glanzvolle Erhabenheit. Nick Cave ist ja schon immer auf Tuchfühlung mit seinem Publikum gegangen. Aber an diesem Abend hat die Nähe eine neue Qualität. Es gibt keinen Graben zwischen den Fans und der Bühne, und wenn er nicht am Flügel sitzt oder herumspringt wie auf Speed, während die Bad Seeds tosen wie die himmlischen Heerscharen, dann läuft Cave vor einem Meer aus Händen auf und ab. Greift sie sich, drückt sie. Mal spricht er besorgt mit einer Anhängerin, der schwummrig wird: „Geht’s dir gut?“ Als ein Fan ihm fast das Bein stellt, setzt es einen wohltemperierten Anschiss. Seine humorvolle Ermahnung an einen anderen: „Nimmt bitte das Smartphone runter – oder der nächste Song ist nicht für dich.“

Es scheint, als habe er die Freude wiedergefunden. Nach drei Alben, die im Zeichen des unfassbaren Verlusts standen, lässt der Sänger ja auch im starken aktuellen Werk „Wild God“ Licht herein, er spielt es heute Abend fast zur Gänze. Auf den Videoleinwänden erscheinen dann Textzeilen wie „Amazed of Love“ und „Amazed of Pain“. Cave betrachtet das Leben und den wild gewordenen Allmächtigen – und die Liebe sowie der Schmerz scheinen ihm gleich erstaunlich.

Natürlich feiert die Menge die alten Kracher besonders: „The Mercy Seat“, „Red right Hand“, „Tupelo“, den „Weeping Song“ Sie scheinen zu explodieren vor all der Kraft, die das mächtige Schlagwerk und die vier Gospel-Sänger zu entfachen vermögen. Und natürlich Caves rechte Hand Warren Ellis, der mit seinem weißen Walle-Bart aussieht wie Moses. Der Schinderhannes ist ein Gesamtkunstwerk: wirft Kusshändchen, schüttelt Rasseln, spielt Bass, Gitarre und Geige durch den Verzerrer.

Für den Slogan des Abends sorgt allerdings das neue Stück „Conversion“, ein Gospel, zu dessen Höhepunkt Cave die Mange wiederholt anbrüllt: „You‘re beatiful!“ Dann fordert er die Fans auf, ihre Hände auszustrecken, und lässt sich nach vorne kippen. Sie fangen ihn auf. Was früher gewirkt haben mag wie eine Messias-Pose, hat jetzt die genau gegenteilige Bedeutung. Nick Cave braucht die Kraft und die Liebe seiner Fans, um weitermachen zu können. Und er gibt sie ihnen im Überfluss zurück, bis er am Ende die frohe Botschaft ruft: „Sing along you beautiful Munich People!“ Into my Arms, oh Lord …
JOHANNES LÖHR

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