TV-Moderator auf Abwegen: Friedrich Quant (Wolfgang Schwaninger) rutscht in die Schwurblerszene. Oder etwa doch nicht? © Jan-Pieter Fuhr
Es ist noch keiner runtergefallen. Aber so, wie Lara und Mr. Goodman den Beweis führen, ist die Sache sonnenklar: Die Erde muss eine Scheibe sein. Und womöglich von Reptilien in Menschengestalt regiert werden, während wir Pizza mit Kinderfleisch essen und von implantierten Mikrochips beeinflusst werden. Alles gaga? Dazu gibt es zu viele, die das glauben. Höchste Zeit für eine Schwurbler-Oper also. Und Moritz Eggert, der gern an die Realität andockt und vom Fußball-Oratorium bis zur Kinder-Koch-Oper alles wegkomponiert, scheint dafür der rechte Mann.
Wobei Oper? Am Staatstheater Augsburg wird das apart in der Schwebe gehalten. Eine Promenadenmischung aus Operette, Musical, Kabarett und, ja, sogar Oper ist „Die letzte Verschwörung“, 2023 an der Wiener Volksoper uraufgeführt. Auch weil sich Eggert im Supermarkt der Musikhistorie bedient. Während der zwei Spielstunden wechselt er alle paar Takte die Maske. Ein Stil-Fasching, der zum Zitateraten von der Filmmusik bis zum Klassiker einlädt. Das ist so überdreht, dass sich das Stück kaum beruhigt. Die Augsburger Philharmoniker gehen da engagiert mit, Generalmusikdirektor Domonkos Héja lotst vorsichtig – und kann doch nicht verhindern: Für die Ersatzspielstätte im Martini-Park ist das ein harter Akustiktest.
Im Mittelpunkt steht Friedrich Quant, TV-Moderator, Familienvater, der dank der geheimnisvollen Lara und dem ebenso seltsamen Mr. Goodman in die Schwurblerszene rutscht. Das irritiert ihn anfangs, bringt aber Quote. Als ein verheerender Mobilfunkdeal zwischen einer russischen Milliardärin und Kanzler Olaf droht, versucht Quant, dies mit seinem Bond-Girl Lara zu verhindern. Es gibt Tote, plötzlich auftauchende Außerirdische und einen Entertainer in Weiß namens „Das System“ (Julius Kuhn macht das äußerst smart), der nicht nur durchs Geschehen führt, sondern es sogar lenkt.
Klingt meschugge, genau das hat Eggert als sein eigener Textdichter beabsichtigt. Was Wahrheit ist, darüber sinnierte ja schon Pilatus während des wichtigsten Gerichtstermins seines Lebens. „Die Welt ist nur Kulisse“ und „Wenn die Wahrheit nicht zählt, lebt es sich besser als Schwurbler“, so heißt es in der „letzten Verschwörung“. Alles relativ also und vielleicht nur Teil einer riesengroßen, Achtung Kinofans, Matrix.
André Bücker, Hausherr und Regisseur, setzt mit Wolf Gutjahr (Bühne), Katharina Weissenborn (Kostüme), vor allem mit Robi Voigt auf die Technikkompetenz des Hauses. Letzterer liefert pausenlose, wilde, fantasievolle Videos, die auf teils fahrbare Wände projiziert werden. Bücker lässt das Personal aufgekratzt durchs Geschehen tänzeln. Die Aufführung hat hohes Tempo, läuft gern heiß und manchmal auch leer. Humor, das erlebt man an diesem Premierenabend ebenfalls, kann Glückssache sein und Satire sehr krampfig.
Tiefe Verbeugungen verdient die Bühnenbesatzung, allen voran der darstellerisch virtuose Wolfgang Schwaninger (Quant). Mit heldischer Tenorkraft bringt er ein Stück gute alter Oper in die Eggert-Sause. Shin Yeo ist als bassschwarzer, zwielichtiger Mr. Goodman nahezu ideal, Jihyun Cecilia Lee wirft sich unerschrocken in die Lara-Partie. Auch die Übrigen samt Chor sind mit Hingabe bei der Sache. Dass „Die letzte Verschwörung“ Petitesse mit Polit-Garnierung bleibt, mehr Schwurbler-Show als Gesellschaftskritik, ist vielleicht gewollt. Und dass die Welt schon längst weiter ist und überall Lügengebäude errichtet werden zum Beispiel aus falschen Migrantenzahlen, ist ein viel gefährlicheres Problem. So richtig ins Lachen kommt das Augsburger Publikum erst über die Auflösung. Doch die wird hier nicht verraten.
MARKUS THIEL
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