In die Vollen

von Redaktion

Igor Levit begeistert in der ausverkauften Isarphilharmonie

Er lieferte auch in München: Igor Levit, hier ein Archivfoto. © dpa

Er geht gleich in die Vollen: Mit Verve stürzt sich Igor Levit zu Beginn seines Klavierabends in der ausverkauften Isarphilharmonie in die Notenflut von Johann Sebastian Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge BWV 903. Er überzeugt mit enormem Gestaltungswillen, lässt die Fantasie wie spontan improvisiert wirken und tritt ordentlich aufs Gaspedal – völlig legitim, wenn man wie er über die hierfür nötige Technik verfügt. Aber leider tritt Levit auch allzu häufig aufs rechte Pedal des Flügels, das die Töne verwischt und verschmiert, was sich bei Bach als fatal erweist, weil es der kristallartigen Klarheit und kompositorischen Kühnheit des Stücks zuwiderläuft. Schade!

Im Anschluss versucht Levit mit einer subtilen und sensiblen Ausdeutung der Balladen op. 10 von Johannes Brahms, eine Lanze für diesen selten gespielten Zyklus zu brechen – insofern verlorene Liebesmüh, als diese vier Petitessen nicht zu Brahms’ inspiriertesten Schöpfungen zählen. Immerhin kann Levit hier mit bezaubernden Abschattierungen im Pianissimo punkten. Außerdem dürfte der weitaus größte Teil des Publikums ohnehin wegen des Mammutwerks in der zweiten Konzerthälfte gekommen sein: Ludwig van Beethovens siebter Sinfonie in der Bearbeitung für Solo-Piano von Franz Liszt.

Dementsprechend groß ist die gespannte Erwartung im Saal nach der Pause. Ein Herr im Parkett raunt mit Blick aufs Podium: „Jetzt muss er liefern!“ Und tatsächlich: Levit liefert – und wie! Bereits vom energiegeladenen ersten Takt der Einleitung an entwickelt das Spiel des 37-jährigen Virtuosen einen sagenhaften Sog. Man hört die beinahe schon zu Tode genudelte Sinfonie plötzlich mit ganz anderen Ohren und weiß gar nicht, was man am meisten bewundern soll: Beethovens epochale Komposition? Liszts kongeniale Transkription? Oder Levits kolossale Interpretation?

Wie von Beethoven gewünscht, nimmt Levit den von vielen Dirigenten unnötig verschleppten zweiten Satz allegretto, ohne dabei gehetzt zu klingen. Dass an manchen Stellen, etwa im dritten Satz, ein bisschen weniger Pedalgebrauch die rhythmische Prägnanz noch geschärft hätte – Mäkelei! Dass im Laufe dieses wahnwitzigen Kraftaktes ein paar einzelne Töne danebengehen – darauf gepfiffen!

Entscheidend ist, dass Levit bei seiner faszinierenden, fesselnden, freien Gestaltung nie in Routine verfällt, sondern stets aus dem Moment heraus lebendig musiziert, an Grenzen geht und immer wieder alles riskiert. Im rasenden Reigen des Finales steigert er sich in einen regelrechten Rausch und reißt mit seinem so exzessiven wie expressiven Spiel das Publikum zu Jubelstürmen hin. Und in der Zugabe formt er mit atemberaubender Anschlagskultur das innige A-Dur-Intermezzo aus Brahms’ Opus 118 zu einem Kleinod von schier überirdischer Schönheit.
MARCO SCHMIDT

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