Mit Gestaltungskraft

von Redaktion

Mini-Dramen von Cécile McLorin Salvant

Geschichtenerzählerin: Cécile McLorin Salvant. © Nonesuch

Sie beginnt ihr Konzert im Münchner Prinzregententheater mit zwei Songs von Burt Bacharach, für ihre Ansprüche eher simples Material, aber schon da wird klar: Cécile McLorin Salvant ist keine gewöhnliche Jazzsängerin. Sie gleitet, ja springt so atemberaubend intonationssicher durch die Oktaven, ohne ihre Virtuosität ausstellen zu müssen, dass sie sich ganz auf den Text konzentrieren kann. Die Amerikanerin mit haitianisch-französischen Wurzeln ist im besten Sinne eine Interpretin, eine charismatische Geschichtenerzählerin. Sie eignet sich die Themen der Songs an, kommentiert und ironisiert etwa die Unzuverlässigkeit der Männer, wechselt im Ausdruck zwischen Heiterkeit und Melancholie, Passion und Resilienz.

Eine einzige Eigenkomposition, inspiriert von Briefen Toni Morrisons, hat die für ihre ambitionierten Konzeptalben bekannte Sängerin an diesem Abend im Repertoire. Aber das macht genauso wenig, wie wenn sie mittendrin für ein Lied ins Spanische wechselt: Sie singt das Stück mit solch berührender Gestaltungskraft, dass man ihr auch ohne Sprachkenntnisse folgt. Thelonious Monks berühmte Ballade „Round Midnight“ hat man so noch nicht gehört, ihre lange A-Cappella-Einleitung zum Bluesklassiker „Spoonful“ ist Gänsehaut pur.

Je länger das Konzert dauert, desto mehr ArrangementKniffe und Tempowechsel bauen McLorin Salvant und ihr exzellentes Trio ein: Die beiden abschließenden Stücke von Kurt Weill sind keine Songs mehr, sondern perfekt inszenierte Mini-Dramen. „It’s the Singer, not the Song”: Die Showbusiness-Weisheit, dass es auf die Sängerin ankommt, nicht darauf, was sie singt, war selten so eindrucksvoll zu erleben wie an diesem Abend. Standing Ovations, drei Zugaben.
REINHOLD UNGER

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