AUSSTELLUNG

Hier steppt der Bär

von Redaktion

Die Sammlung Moderne Kunst feiert die Exzentrik

Kraftvoll: Pipilotti Rists „Melina“. © Rist / VG Bild-Kunst

Guckst du: Aus Martin Kippenbergers „Alle wollten sie haben, doch keiner hat sie bekommen“. © Haydar Koyupinar

Kunterbunte Lebensfreude: Paola Pivis Bärenskulpturen animieren zum Tanzen. © Haydar Koyupinar

Dann sieht man sich selbst in der monumentalen Spiegelarbeit von Heimo Zobernig, die im ersten Ausstellungsraum hängt, und denkt: Warum musste es heute Morgen wieder der pinke Pulli sein? Warum nicht einfach mal gedecktes Schwarz, warum immer auffallen? Blick nach rechts: Und was fragt sich wohl der Mann ein paar Meter weiter, der in dem unauffällig grauen Anzug? In seinem Rücken wirbeln kunterbunte Bären, vielleicht würde er ja auch gern mal ein bisschen aus der Reihe tanzen – doch traut sich nicht?

Bernhart Schwenk und Eva Karcher, die die Ausstellung gemeinsam kuratiert haben, machen also gleich zu Beginn das ganz große Fass auf. Einmal hinein ins eigene Seelenleben bitte. Was zieht uns an, was stößt uns ab? Was finden wir unmöglich, was bewunderns- und nachahmenswert? Und: Warum zur Hölle? „Eccentric. Ästhetik der Freiheit“ haben sie diese neue, ganz und gar sehenswerte Schau überschrieben. Im Titel klingt an, dass es hier nicht um bloßes Aus-dem-Rahmen-Fallen geht. Schwenk und Karcher untersuchen die gesellschaftspolitische Kraft, die in der Exzentrik liegt. Und werfen jede Besucherin, jeden Besucher auf die Frage zurück, von welchen gesellschaftlichen und familiären Regeln und Glaubenssätzen sie selbst geleitet sind.

Dabei ist die Definition des Begriffs „Exzentrik“ so offen wie der Geist der Menschen, die als exzentrisch gelten. Im antiken Griechenland bezeichnete man einen Himmelskörper, der sich – anders als im geozentrischen Weltbild angenommen – nicht um die Erde dreht, als „ékkentros“, als „außerhalb des Zentrums“. Der Exzentriker tritt aus dem Zentrum, der Mitte, heraus, verlässt die Norm. Die Schau feiert also all jene Kunstwerke, die gesellschaftliche Regeln hinterfragen; die Sehgewohnheiten sprengen, irritieren – und dazu anregen, eine andere Sicht auf die Dinge einzunehmen. Unreflektierte Überzeugungen zu überprüfen.

Womit wir bei den tanzenden Bären wären. Ist natürlich clever, uns mit diesen herzigen Tieren in der Ausstellung zu empfangen. Die italienische Künstlerin Paola Pivi lässt sie Salti schlagen, Pirouetten drehen, miteinander flirten. Statt braunem Fell umhüllt sie zartes Federkleid, in Pistaziengrün, Rubinrot, Hot Pink. Plötzlich werden aus tonnenschweren Raubtieren federleicht wirkende empfindsame Wesen. Jede im Biologieunterricht artig gelernte wissenschaftliche Zuschreibung verpufft. Wird von Lebensfreude, Überwältigung angesichts der schöpferischen Vielfalt der Natur überschrieben.

Oder Mike Kelleys Installation „Homesick (Personified Lump and its pure State“ (1991): eine Hommage an „E.T.“ und alle Außenseiter dieser Erde, die sich manchmal alles andere als von dieser Welt fühlen. Indem der US-amerikanische Künstler E.T.s ohnehin schon langen Hals noch weiter und weiter in die Länge zieht, unterstreicht er, was Steven Spielberg uns in den Achtzigern als Weisheit mit ins Fahrradkörbchen für die magische Tour, die sich Leben nennt, gelegt hat: Für die Liebenswürdigkeit einer Person spielt es überhaupt keine Rolle, ob sie klein, verschrumpelt und haarlos ist oder sonstwie Schönheitsnormen unterläuft. Überhaupt werden in den rund 50 Arbeiten aus drei Jahrhunderten, die hier in all ihrer Exzentrik erstaunlich harmonisch aufeinandertreffen, Stereotypen von Ästhetik immer wieder lustvoll auf die Probe gestellt.

Pia Maria Raeder, beim Presserundgang in ein raffiniertes schwarzes Outfit gehüllt, das auf positive Weise auffällt, designt Möbelstücke, die sich bestens einfügen in die in einem Zwischenraum eingerichtete „Eccentric Design Lounge“. Es sind funktionale Skulpturen, mit denen Raeder uns zum Innehalten animieren möchte. Wer sich etwa auf ihre „Stardust Bench“ setzt, der sollte mal die Hände die Bank entlanggleiten lassen. Und spüren, wie sich diese vom Sternenhimmel inspirierte, perlenbesetzte Sitzgelegenheit anfühlt. Oder ihre Lichtskulpturen: Um sie zum Leuchten zu bringen, muss man sanft darüber streichen. Fürs Leben merken: Streicheln bringt Wärme, Licht, Geborgenheit. Lächeln übrigens auch. Das zeigen die drei Videoinstallationen des wandelnden Gesamtkunstwerkes Eva & Adele. In Dauerschleife sieht man Performances der beiden optisch immer herausstechenden Menschenfreunde. Stets mit einem zugewandten Lächeln im Gesicht. Das wirkungsvollste Mittel, um ihre Exzentrik zu leben. Eine Lebensform, die die Welt herausfordert, um sie zu verändern. „Dass so wenige wagen, exzentrisch zu sein, enthüllt die hauptsächliche Gefahr unserer Zeit“, hat es der britische Philosoph John Stuart Mill vor mehr als 150 Jahren formuliert. Also: nur Mut – tut der Welt gut.
KATJA KRAFT

Bis 27. April 2025

täglich (außer Mo.) 10 bis 18,
Do. bis 20 Uhr;
Sammlung Moderne Kunst
in der Pinakothek der Moderne

Artikel 5 von 10