Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein: Was Mensch und Maschine unterscheidet, hinterfragt Felix Kraus. © Sven Hoppe/dpa
„Ich bin jetzt, genau hier, für immer“, Felix Kraus alias Swan Collective setzt sich in seinem Debütroman mit der Frage auseinander, ob das, was uns umgibt, real ist – oder bloß eine simulierte Wirklichkeit. © Zebu Kluth
Felix Kraus kennt seine Pappenheimer. Er ist selbst Teil des manchmal ziemlich kuriosen Kunstbetriebs, innerhalb dessen man sich so hingebungsvoll um sich selbst drehen kann. 2007 gründete der gebürtige Münchner die fiktive Künstlergruppe „Swan Collective“. Und diskutiert unter diesem Pseudonym als freischaffender Autor philosophische Fragen unserer Zeit. Bisher in kurzen Texten, nun hat er seine erste Langstrecke vorgelegt: Sein Romandebüt trägt den wenig poetischen Titel „LEXI.exe“. Klingt wie die vielen Dateien, die auf dem eigenen Computerdesktop herumliegen. Aber diese hier scheint eine wichtige zu sein: in Versalien angelegt, um sie immer schnell zu finden.
Dabei muss Sol, der Protagonist des Romans, gar nicht suchen. Denn sein ganzes Leben dreht sich um Lexi, sie gibt’s für ihn nur in Großbuchstaben. Wobei: Gibt es sie wirklich? Die junge Künstlerin ist Teil einer gigantischen Simulation, Sol ein Programmierer in der echten Welt. In dieser weiteren Realitätsebene leben die Menschen mit Humanoiden zusammen, ernähren sich durch Tabletten, die ihnen alle nötigen Nährstoffe ohne viel Aufwand direkt in die Blutbahn jagen, und umgeben sich statt mit echten Pflanzen mit Bildschirmen, auf denen Natur animiert wird. Kurzum: Swan Collective skizziert uns eine wenig verheißungsvolle futuristische Welt. Ziemlich unterkühlt geht es dort zu. Klar, dass sich Sol lieber gedanklich in die Simulation flüchtet und seine Lexi beobachtet. Das ist als Programmierer schließlich sein Job: fast rund um die Uhr zu schauen, was Lexi treibt. Nun, die Performance-Künstlerin treibt es zu weit, stürzt im Museum durch einen technischen Fehler von der Decke, direkt auf einen Besucher. Der ist einflussreicher Influencer – verliert, im Rollstuhl sitzend, aber jede digitale Gefolgschaft. Und flüchtet sich fortan in die Natur, als Anführer einer kleinen Kommune – Umarmungen echter analoger Follower fühlen sich eben doch irgendwie wärmer an als digitales Herzen.
Bis zu dieser Erkenntnis braucht es bei Lexi indes noch eine harte Weile. Seit dem Unfall im Museum ist sie fix und fertig und will mit der Kunstwelt nichts mehr zu tun haben. Das wiederum macht Sol fix und fertig. Deshalb greift er in die Simulation ein – und mit einem Mal verschwimmen die zwei Realitätsebenen.
Die dem Roman zugrunde liegende Frage ist also so alt wie Platons Höhlengleichnis. Ist das, was wir sehen, erleben, spüren, real – oder sind all das nur Schatten der wirklichen Welt? Was die Geschichte relevant und lesenswert macht, ist die Weiterführung dieses philosophischen Gedankenexperiments ins Heute. Ein jeder kann mithilfe von Künstlicher Intelligenz selbst künstliche Welten erschaffen. Wieso sollte dann nicht auch die eigene eine einzige große Simulation sein? Was bleibt, wenn alles Schein ist? Das Buch lässt uns die Antwort fühlen: Es bleibt das analoge Sein. Swan Collective ist ein Roman geglückt, der einen während der Lektüre dankbar spüren lässt, wie viele Special Effects der analogen Welt eingeschrieben sind. Wie intensiv und reich und berauschend dieses irre Spiel des Lebens ist. Entwickler unbekannt. Doch wer bumpernde Herzen, rauschende Blätter, schaffende Hände erdacht hat, muss schon ein großer Künstler sein.
KATJA KRAFT
Swan Collective:
„LEXI.exe“. Shift Books, Berlin, 324 Seiten; 23 Euro.
Lesung: Der Autor stellt sein Buch heute Abend, 18.30 Uhr, bei Hubert Burda Media,
Arabellastraße 23, vor.