Im Cabinet des Klangkünstlers

von Redaktion

Karl Bartos, einst bei Kraftwerk aktiv, über die Musik für „Dr. Caligari“

Blick in den Saal bei einer Vorstellung des Stummfilms mit der neuen Musik von Karl Bartos. © Patrick Beerhorst

Mann an den Reglern: Karl Bartos bei einer Aufführung von „Das Cabinet des Dr. Caligari“. © Patrick Beerhorst

Ein Meilenstein der Kinogeschichte ist der expressionistische Stummfilm „Das Cabinet des Dr. Caligari“, den Robert Wiene mit Werner Krauß in der Titelrolle 1920 in die Lichtspielhäuser brachte. © Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

„Wir brauchten keine Worte, wir hatten sprechende Gesichter.“ So legte es Regisseur Billy Wilder der Protagonistin seines Oscar-gekrönten Streifens „Sunset Boulevard“ in den Mund. Ein Abgesang auf die goldene Ära des Stummfilms, aus der heute nur noch ein kleiner Bruchteil der wortlosen Meisterwerke im kollektiven Gedächtnis präsent ist. Neben „Metropolis“ zählt hier vor allem das 1920 auf Zelluloid gebannte „Das Cabinet des Dr. Caligari“ zu den großen Meilensteinen. Ein Klassiker, für den Grenzgänger Karl Bartos nun ein neues musikalisches Gewand schneiderte, das am 2. November im Prinzregententheater zu erleben sein wird.

Bekannt wurde Bartos vor allem als Teil der Band Kraftwerk. Doch seine musikalischen Interessen waren von jeher breit gefächert. So war er während seines Studiums am Düsseldorfer Robert-Schumann-Konservatorium bereits regelmäßig im Graben des benachbarten Opernhauses aktiv, spielte als großer Beatles-Fan aber ebenso in diversen Cover-Bands und Jazz-Formationen. „Das lief alles parallel. Im Umfeld, in dem ich groß geworden bin, spielte Musik die Hauptrolle in der Jugendkultur und nicht das Internet oder Computerspiele. Das war noch eine andere Welt. Und dann riefen 1974 Kraftwerk bei meinem Professor an, weil sie für eine Amerika-Tournee einen Schlagzeuger brauchten.“ Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

Doch obwohl er zwischenzeitlich mit seinen ehemaligen Band-Kollegen in die Rock’n’Roll-Hall of Fame aufgenommen wurde, hält der 72-Jährige nicht viel von Schubladendenken. Wenn er von der Arbeit an seinem „Caligari“-Soundtrack spricht, zitiert er unterschiedliche Einflüsse, die sich hier zu einem ganz eigenen Klang-Erlebnis verbinden. Der legendäre Film beschäftigt ihn dabei schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. „Als damals unser Song ‚Metropolis‘ entstand, habe ich viel über die Weimarer Republik gelesen und bin dabei auch auf den ‚Caligari‘ gestoßen.“

Und als Bartos später seine Gastprofessur für Auditive Mediengestaltung an der UdK in Berlin antrat, waren die großen Stummfilmklassiker jener Jahre für ihn das ideale Material, um mit seinen Studierenden daran zu arbeiten. „Ich habe mich gefragt, wie ich das für eine Generation spannend machen kann, die Film fast nur in 3D kennt, wo alle drei Sekunden etwas explodiert. Wie werden sie darauf reagieren? Aber gerade, was die Montage-Technik und den Schnitt angeht, ist der ‚Caligari‘ auch aus heutiger Sicht unglaublich modern.“

Zu diesen expressiven Bildern die passende Klangsprache zu finden, war für Bartos eine Herausforderung. „Aber als dann Corona kam, hatte ich wie alle Musiker auf einmal viel Zeit und habe fast drei Jahre an diesem Film gearbeitet, ihn immer wieder analysiert und jeder Szene einen eigenen Raumklang zugewiesen.“ Von früheren Vertonungen hat er sich dabei bewusst frei gemacht und den packenden Thriller konsequent ohne Ton betrachtet.

Das Ergebnis geht nun weit über einen gewöhnlichen Film-Score hinaus und verbindet sinfonische und elektronische Klänge mit ausgeklügeltem Sounddesign. „Es gibt viele Szenen, in denen sich die Musik zurücknimmt und man nur Schritte oder Naturgeräusche hört. Schließlich wollten die damals ja keinen Stummfilm drehen. Sie konnten nur noch keinen Tonfilm drehen. Ich bringe also das wieder zusammen, was ursprünglich zusammengehörte.“

Faszinierend war für Bartos vor allem die Suche nach dem Klang des Bösen, das sich für ihn eben nicht nur in Dissonanzen manifestiert. Als Beispiel nennt er etwa eine blutrünstige Szene aus dem „Schweigen der Lämmer“, für die Musik von Bach die Untermalung lieferte. „Auch böse Menschen haben Lieder. Manchmal sogar sehr schöne. Es gibt Aussagen von Serienmördern, die nach ihrer Tat ein großes Glücksgefühl empfunden haben, weil ihr Trieb befriedigt war. Da ist keine Dissonanz, sondern ein strahlendes Dur. Und genau deshalb zitiere auch ich kurz die ‚Goldberg-Variationen‘ mit dem zweiten Teil der berühmten ‚Aria‘. Der Anfang gehört Hannibal Lecter.“
TOBIAS HELL

Vorstellungen

am 2. November sowie am
15. Februar im Münchner Prinzregententheater; Karten unter
https://linktr.ee/Trocaderomusic.

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