Wagner mit Spinnweben

von Redaktion

Nur 24 Stunden nach München bringt die Mailänder Scala das „Rheingold“ heraus

Starke Gesangsbesetzung in anfechtbarer Kostümierung: Szene mit Okka von der Damerau (Fricka, li.), Michael Volle (Wotan) und Olga Bezsmertna (Freia). © Brescia e Amisano

Vor dem ersten Akkord, bei dem die Kontrabässe ihr tiefes Es wummern, wird es erst einmal stockdunkel. Sehr angemessen ist das, die Welt will schließlich erst erschaffen werden. Und hier treffen sich sogar die beiden Opernhäuser. Im Münchner Nationaltheater sieht man kaum die Hand vor Augen, in der Mailänder Scala gut 24 Stunden später immerhin einen roten Punkt. Es ist ein kleines Licht an der Spitze von Simone Youngs Taktstock. Und dann, geschätzte 30 Sekunden später, trennen sich auch schon die beiden Premieren: Wagners „Rheingold“ in Oberbayern und in der Lombardei, das sind verschiedene, sich fast ausschließende Opernwelten.

Dass zwei Musentempel von dieser Güte den „Ring des Nibelungen“ innerhalb von zwei Tagen starten, gab’s wohl noch nie. Die Scala mag es nicht mit Münchens Wagner-Tradition aufnehmen können („Rheingold“ und „Walküre“ wurden im Nationaltheater uraufgeführt), doch im dicken Programmheft blickt man, gewürzt mit entsprechenden Fotos, stolz auf vergangene „Ringe“ zurück. 1973 stand zum Beispiel Wolfgang Sawallisch, Münchens Opernlegende, im Graben, später dirigierte Scala-Chef Riccardo Muti. Und zuletzt gab es 2013 ein „Rheingold“, ein Import von der Berliner Linden-Oper unter Daniel Barenboim, Michael Volle sang damals den Wotan.

Auch jetzt steht er wieder auf der Bühne und müht sich ein wenig. Irgendwie hat er’s im Kreuz oder in den Beinen. Vokal gibt es nichts zu kritteln, im Gegenteil. Volle untermauert in der Mailänder Premiere seine Position als wichtigster Wotan unserer Tage. Kraft, bestechendes Textbewusstsein, Nuancierungen, das macht ihm zurzeit keiner nach, da hat Münchens Neu-Wotan Nicholas Brownlee einiges aufzuholen – und das wird er auch.

Doch eigentlich war der Mailänder „Ring“ als große Christian-Thielemann-Sause gedacht. Der Potsdamer sagte vor einigen Wochen das komplette Dirigat ab. Eine Sehnen-OP, wie er schrieb, und gab dem Haus gleich noch eine verbale Ohrfeige mit: „Schwierigkeiten“ gebe es dort. Das „Rheingold“ teilen sich nun Alexander Soddy und Simone Young, Letztere übernahm die ersten Vorstellungen. Und führte in der Premiere gleich mal vor, wie man das Stück dirigiert. Zügig, drängend, mit unforciert aufblühenden Phrasen und gelegentlichen Muskelspielen. Aber alles dort, wo es sein muss, und immer eingepasst in einen natürlichen Entwicklungsverlauf. Echte Kapellmeisterkunst und großes Theaterbewusstsein: Simone Young ist geschätzte zehn Minuten früher fertig als Vladimir Jurowski, der sich in München mit kühler Analyse verpuzzelte.

Wer in den zweieinhalb Stunden auf die Scala-Bühne blickt und noch vom fulminanten Münchner „Rheingold“ zehrt, erlebt allerdings eine kalte Dusche. Regisseur und Bühnenbildner David McVicar ist mit Kostümbildnerin Emma Kingsbury nicht mehr eingefallen als ein Rücksturz in alte Deko-Zeiten. Man trägt rissige Renaissance, anfechtbare Kopfbedeckungen oder Fantasy-Schick, an Wotans Speer hängt irgendetwas zwischen alten Pflanzen und Spinnweben. Die Rheintöchter räkeln sich auf drei Händen, Walhall ist ein Treppenturm und zwischendrin Alberichs Nibelheim ein goldener Riesenschädel, den kennt man schon aus McVicars Berliner „Idomeneo“. Alles sieht aus wie eine Mixtur aus Karajan der Sechzigerjahre und ein dürftiges Harry-Kupfer-Imitat.

Das stücktitelnde Edelmetall ist hier ein Tänzer, dem Alberich die Maske vom Gesicht reißt. Auch später tanzen ein paar Jungs, das Bild dieses so besonderen Raubs wird jedoch kaum fortgeführt. Was das Götter-, Riesen- oder Zwergenpersonal miteinander zu tun hat, bleibt David McVicar schuldig. Die Solistenriege sucht daher ihr Heil im Posieren, im Verwerten oft erprobter Bewegungen und gern auch den „Callas-Point“ auf. Der ist links neben dem Souffleurkasten, da klingt es im großen, akustisch trockenen Haus am besten.

Wer gestisches Singen beherrscht wie Michael Volle, ist fein raus, denn da wird die Premiere interessant. Auch Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, der mit der Mime-Partie lustvoll jongliert, zählt dazu. Oder Olafur Sigurdarson, als Alberich für den schwer erkrankten Johannes Martin Kränzle eingesprungen. Von seinem Kalle-Wirsch-Kostüm lässt sich Sigurdarson dabei nicht beirren. Okka von der Damerau ist von der Erda zur Fricka befördert worden und bringt eine aparte, wohltönende Dosis Heroinen-Charme mit. Christa Mayer singt eine eindringliche, wortklare Erda, Jongmin Park einen robusten, rau timbrierten Fasolt, André Schuen einen gepflegten Donner. Norbert Ernst bleibt als Loge zu monochrom, muss leider mit zwei Tänzern choreografische Gymnastik machen und kassiert vielleicht auch deshalb ein paar Buhs.

Sogar als Simone Young auf die Bühne kommt, regt sich teilweise Unmut. Die Mailänder (manchmal bezahlten) Loggionisti sind da gnadenlos und legen ihr offenbar zur Last, dass sie nicht Christian Thielemann heißt. Vorzuwerfen hat sie sich nichts, im Gegenteil. Auf vielen Positionen luxuriös besetzt, dazu eine Kennerin im Graben: Musikalisch ist dieses „Rheingold“ eine Ansage, nicht nur an München. Mit Blick auf die Regie sei kostengeplagten Wagnerianern dagegen gesagt: Sie können ihr Reisebudget schonen.

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