„Der Meister des Schnitts“ in seinem Element: Silas Breiding spielt den österreichischen Filmemacher G. W. Pabst (1885-1967) als Getriebenen seiner Kunst. Im Hintergrund: Jawad Rajpoot als Beobachter Rosenzweig. © arno declair
Zeit. Sie ist es, die den Mächtigen vom Ohnmächtigen unterscheidet. Ersterer beherrscht die Zeit. Und daher nimmt sich Jan Meeno Jürgens als Minister auch schmerzhaft viel davon. Kostet jeden Schritt des langen Wegs aus, der ihn aus der Tiefe der Bühne im Münchner Volkstheater nach vorne an die Rampe führt. Auf dem Weg dorthin stößt er beim ersten Durchgang gegen eine der zig Filmdosen, die herumliegen, und zieht fortan das Bein nach wie Joseph Goebbels. Er umkreist den Regisseur G. W. Pabst. Silas Breiding zeigt mit jeder Runde, die der Mächtige dreht, wie sehr der Filmemacher unter dem Warten leidet, wie sich unter dem Stress der Lage sein Rückgrat krümmt und weich wird – obwohl er am Ende, als er den Pakt mit dem Teufel schließt, endlich aufrecht steht.
Es ist die wichtigste Szene in „Lichtspiel“. Christian Stückl hat den gleichnamigen Roman, den Daniel Kehlmann im vergangenen Jahr vorgelegt hat, für sein Münchner Volkstheater adaptiert. Am Donnerstag wurde der etwas mehr als drei Stunden lange Abend (eine Pause) im Haus an der Tumblingerstraße uraufgeführt. Eingebettet in eine Rahmenhandlung erzählt Kehlmann vom österreichischen Regisseur Georg Wilhelm Pabst. Gefeiert als „Meister des Schnitts“ brachte er in der Weimarer Republik die Filmkunst voran. Das Schaffen des „roten Pabstes“ verband Erfolg an den Kinokassen mit politischem, pazifistischem Anspruch.
Pabst hatte das Glück, Anfang 1933 in Frankreich zu drehen, als Hitler in Berlin zum Reichskanzler gewählt wurde. Seine Filme verboten die Nazis freilich sofort. Der Regisseur ging mit seiner Frau ins Exil nach Hollywood. Wie viele Emigranten bekam er jedoch keinen Boden unter die Füße; „A modern Hero“, sein einziger Film für Warner Bros., floppte brutal. Pabst ging zurück – vorgeblich, um sich in der Steiermark von der Mutter zu verabschieden. Der deutsche Überfall auf Polen machte schließlich eine erneute Rettung in die USA unmöglich. Pabst arrangierte sich mit dem System und drehte für die Nazis. Keine Propagandastreifen wie die Riefenstahl, aber Produktionen, die den Machthabern als „staatspolitisch und künstlerisch wertvoll“ galten. Ein Günstling, ein Profiteur, ein Bückling also, der seine Kunst über alles stellte: Film ab für den (Selbst-)Betrug.
„Lichtspiel“ mixt Fakten und Fiktion – und daran hält sich auch Stückl in seiner Theaterfassung des (tatsächlich sehr filmisch erzählten) Buchs. Dadurch gelingt es Roman und Inszenierung, losgelöst von der historischen Figur zur eigentlichen Frage vorzudringen: Kann man anständig bleiben in unanständiger Umgebung? Gibt es Kunst um der Kunst willen? Oder gilt, was Gertrude Pabst an einer Stelle anmerkt: „Selbst wenn sie bleibt, die Kunst. Ist sie nicht beschmutzt? Ist sie nicht blutig und verdreckt?“
Stückl geht diesem Konflikt sehr sehenswert im Breitwandformat nach. So ist „Lichtspiel“ absolut gegenwärtig – ohne Aktualität penetrant auszustellen. Ausstatter Stefan Hageneier hat die Bühne in eine Dunkelkammer verwandelt. Drei Arbeitstische und unzählige Filmrollen stehen hier. In der Mitte aber, auf einem Podest, thront ein 35-Millimeter-Filmprojektor. Ihm ordnet Pabst alles unter: Leben, Familie, Moral.
Betont wird die Frage nach der Haltung zum einen auch durch die Lichtkugel über der Szenerie, die an eine Kameralinse erinnert und die alles unbarmherzig ausleuchtet. Zum anderen stärkt die Inszenierung die Rahmenhandlung, in der Jawad Rajpoot als Beobachter, Fragensteller und Kommentator aus der Gegenwart permanent anwesend ist.
Silas Breiding gelingt es, Pabst als Getriebenen zu zeichnen, dessen einziger Motor es ist, Filme zu realisieren. Anfängliche Bedenken haut er über Bord – Hauptsache, er kann tun, wozu er sich berufen fühlt. Carolin Hartmann ist als Pabsts Ehefrau sein Gegenpart. Ihre Gertrude ist hellsichtig und bleibt dennoch unerhört, weshalb sie alle Sorgen im Alkohol ertränkt. Ein Stück Freiheit findet die Figur schließlich in einem (zu späten) Ausbruch. Breiding ist zwar das Zentrum der Inszenierung, die jedoch von einem starken, homogenen Ensemble getragen und vorangetrieben wird. Die Neuzugänge Cedric Stern, Nils Karsten, Nina Noé Stehlin und Maximiliane Haß machen Lust auf mehr Theater, denn sie zeigen in diversen Rollen, dass sie ein Gewinn fürs Haus sind.
Herzlicher Applaus, vereinzelt Standing Ovations.
MICHAEL SCHLEICHER
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