Konzert gegen Gewalt

von Redaktion

Barenboim mit dem West-Eastern Divan Orchestra in München

Mit reduzierter Gestik leitete der 81-jährige Daniel Barenboim sein von ihm gegründetes Ensemble. © Imago

Es ist aktuell schwieriger denn je, Auftritte des West-Eastern Divan Orchestra losgelöst von der politischen Lage in der Heimat der Musikerinnen und Musiker zu betrachten. Denn der Klangkörper, der sich aus Mitgliedern israelischer, palästinensischer und arabischer Herkunft rekrutiert, versucht seit nunmehr 25 Jahren, Zeichen für ein friedliches und gleichberechtigtes Miteinander im Nahen Osten zu setzen. Nicht mit großen Reden, die auch beim Gastspiel in der Isarphilharmonie nicht geschwungen werden. Sondern durch die von allen verstandene Sprache der Musik. Wobei das von Daniel Barenboim und Edward Said ins Leben gerufene Ensemble im Programmheft „angesichts zehntausender ausgelöschter Menschenleben und zerstörter Gemeinschaften, um die wir trauern“, sehr wohl klare Worte findet. In einer gemeinsam verfassten Erklärung, die fordert, „dem Kreislauf der Gewalt durch einen dauerhaften Waffenstillstand ein Ende zu setzen, der die sichere Rückkehr aller Geiseln und unrechtmäßig festgehaltener Häftlinge gewährleistet“.

Der lockere südländische Konversationston, mit dem man hier in Felix Mendelssohn Bartholdys „Italienische“ Symphonie startet, wirkt angesichts dessen fast wie eine ferne Utopie, die im ersten Satz zwischenzeitlich auch mal kurz auf wackeligen Beinen steht. Doch dank seiner Autorität hat Barenboim das Geschehen stets sicher im Griff. Der gesundheitlich zuletzt schwer angeschlagene Dirigent kann dafür beruhigt auf das im Laufe seiner Karriere gesammelte Wissen zurückgreifen und dies gemeinsam mit seinem Orchester abrufen. Selbst wenn der mittlerweile 81-Jährige mit deutlich reduzierter Gestik am Werk ist. Doch das, was sitzen muss, sitzt perfekt. Barenboim weiß nicht nur, was seine Musikerinnen und Musikern von ihm brauchen, sondern auch, was er von ihnen verlangen kann. Dieses gegenseitige Vertrauen zeigt sich gerade im langsamen zweiten Satz, dessen düster verhangene Intensität einen reizvollen Kontrast zu den heiteren Eckpfeilern setzt.

Großes gelingt Barenboim aber vor allem in der vierten Symphonie von Brahms, deren erste Takte bereits einen leichten Trauerrand vernehmen lassen, der im Laufe der Symphonie immer wieder vorsichtig durchscheint. Trotz breiter Tempi ist von Altersmilde keine Spur. Die scharfen Pizzikati, über denen sich die delikat ausbalancierten Holzbläser im zweiten Satz sanft entfalten dürfen, kommen da ebenso prägnant wie die immer wieder neu hochbrausenden Wogen des Scherzos. All dies kulminiert schließlich im Finale, zu dem der Dirigent im Verlauf seiner klug durchdachten Interpretation immer wieder kleine Hinweise platziert hatte. Bedeutungsschwangere Vorahnungen, die auf der Zielgeraden eingelöst werden und ihre Wirkung nicht verfehlen.

Nach dem Verklingen der letzten Noten herrscht im Saal zunächst respektvolle Stille, ehe Daniel Barenboim endlich die Spannung auflöst und sich die aufgestaute Begeisterung des Publikums ihren Weg bahnen darf. Mit Bravo-Rufen und minutenlangen Standing Ovations. Ob nun für die beeindruckende Lebensleistung des Dirigenten, für die wichtige Friedensbotschaft des Orchesters oder einfach „nur“ für einen bewegenden Konzertabend, spielt am Ende keine Rolle. Verdient war der Jubel in jedem Fall.
TOBIAS HELL

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