Zwischen Kriegsgrauen und Lebenslust

von Redaktion

Das Franz Marc Museum zeigt „Zeitfragmente – von Max Beckmann bis Wilhelm Lehmbruck“

Technisch höchst komplex und emotional wuchtig: die Grafiken aus dem Zyklus „Bauernkrieg“ – hier „Die Pflüger“ aus dem Jahr 1907 – von Käthe Kollwitz. © Franz Marc Museum

Fragile Situation in luftiger Höhe: Ernst Ludwig Kirchners Frauen in blauen Trikots. © Franz Marc Museum

Ins Jetzt treffen, dabei in die Tiefe gehen, also nicht einer oberflächlichen Aktualität nachjagen, das strebt Jessica Keilholz-Busch, die neue Chefin des Franz Marc Museums in Kochel am See, in ihrer Ausstellungsprogrammatik an. Mit „Zeitfragmente – von Max Beckmann bis Wilhelm Lehmbruck“ ist ihr das trotz kleinen Rahmens eindrucksvoll gelungen. Der Blick 100 Jahre zurück hilft dabei. Besucherinnen und Besucher gewinnen durch den zeitlichen Abstand eine intellektuell klare und gefühlsmäßig intensive Nähe zum Kriegsgrauen, dem Armut und schamlose Ausbeutung genauso folgen wie die Lebenslust, sei sie ungezügelt, sei sie erfrischend.

Das Wechselspiel zwischen Vergegenwärtigen und Vergessenwollen spricht zunächst Anselm Kiefers poetische Installation im Foyer an. Aus einem alten Buchstabensetzkasten-Schrank einer Druckerei wuchsen Blumen. Nun sind sie vertrocknet, ihre Samenkapseln beschützen indes neues Leben. „Mohn und Gedächtnis“ (2014) aus dem Komplex „Opus Magnum“ (2020/21 im Marc-Museum zu sehen) stimmt die Betrachtenden auf die Aufgabe ein, die im Saal dahinter auf sie wartet. Der Empfang dort ist unterhaltungsfröhlich. Ernst Ludwig Kirchners Frauen in blauen Trikots von 1914 bereiten sich gerade auf ihren Auftritt vor. Beim genauen Hinsehen kommt einem dann doch der Filmtitel „Die Artisten in der Zirkuskuppel ratlos“ (1968) in den Sinn, so fragil scheint die Situation in luftiger Höhe.

Auch Max Beckmanns Grafiken „Jahrmarkt“ (1921) zu den diversen Lustbarkeiten zeigen eine Doppelbödigkeit. Die extreme Verunsicherung, die der Erste Weltkrieg in den Menschen hinterlassen hatte, drückt sich insbesondere in einem Seiltänzer aus. Während seine Partnerin virtuos agiert, balanciert er mit einem Tuch über Kopf und Körper. Leicht und heiter erscheint in der Ausstellung Else Lasker-Schülers bunte Gegenwelt um ihren Prinzen Jussuf – allerdings nur in den Zeichnungen. Das Buch „Der Prinz von Theben“ (1914) selbst ist voller blutrünstiger Geschichten. Sie sind bizarr und burlesk zugleich in religionspolitischer Hinsicht durchaus abgründig.

Mit Käthe Kollwitz, Otto Dix und George Grosz gibt es dann kein Pardon mehr. Wer Dix’ Blätter aus der Mappe „Der Krieg“ (1924) gesehen hat, vergisst sie nie wieder. Und er weiß, was Krieg bedeutet. Schönfärbereien à la Heldentod, Ritterlichkeit oder lustiges Soldatenleben tilgt der Künstler so radikal wie einst Goya. Grosz seziert mit bittersten Szenen die erbarmungslose und die erbarmungswürdige Nachkriegsgesellschaft. Wilhelm Lehmbruck fasst all das bereits 1915/16 in einen ewig gültigen Gestus, in die überlebensgroße Bronzeskulptur „Der Gestürzte“. Eine langgliedrige, dünne, nackte Menschengestalt kriecht sogar den Kopf am Boden aufgesetzt mühselig vorwärts. Ein „Ecce Homo“ der Moderne.

Am tiefsten in Seele und Gemüt trifft uns Käthe Kollwitz. Ihre technisch höchst komplexen Grafiken aus dem Zyklus „Bauernkrieg“ (1902-1908) sind imposante, trauernde Menschheitsaussagen wie ihre späteren Holzschnitte zum Krieg auch. Die Mittel sind jedoch nie propagandistisch platt oder naiv und keinesfalls über-künstlerisch. Denn sie packt die Betrachtenden mit dramatischen Helldunkel-Effekten, perfekte Vorbilder für Filmemacher. Da fragt man sich wieder einmal, wann es in München eine umfassende Kollwitz-Ausstellung gibt?
SIMONE DATTENBERGER

Bis 9. Februar 2025

Di. bis So. 10 bis 17 Uhr,
Franz-Marc-Park 8-10; www.franz-marc-museum.de.

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