Der Architekt des modernen Pop

von Redaktion

Die Musikwelt trauert um Quincy Jones, der mit 91 Jahren gestorben ist

Charmant: Quincy Jones mit (v. li.) Michelle Williams, Beyonce Knowles und Kelly Rowland von Destinys Child. © People Image

Habe die Ehre: Jones 2010 mit US-Präsident Barack Obama. © afp

Den Arm voller Grammys: Michael Jackson und sein väterlicher Mentor feiern 1984 den „Thriller“-Erfolg. © Doug Pizac / dpa

In seinem Element: Quincy Jones dirigiert beim Montreux Jazz Festival 1993 das Lille Orchestra. © PATRICK KOVARIK / afp

Zu den besonders anrührenden Hintergrund-Schnipseln der Popgeschichte gehört die Probe für den Wohltätigkeits-Welthit „We are the World“ im Jahr 1985. In dem Youtube-Video sieht man Bob Dylan, mit Stevie Wonder am Klavier, den Refrain ins Mikro krächzen. „Great, Man!“, ruft Quincy Jones vom Dirigentenpult aus. „Ich finde nicht, dass das was getaugt hat“, erwidert der Grantler (und er hat Recht). „Ach was, perfekt“, sagt Jones und umarmt Dylan, der erleichtert strahlt. „Wenn du das sagst.“ Genau das ist es, was sich Jones für das Lied vorstellt, damit möglichst viele Menschen es kaufen und so den Hunger in Afrika lindern. „Wenn wir zu gut klingen, wird das kein Hit“, sagt er – und soll recht behalten: „We are the World“ wird zur achtmeistverkauften Single aller Zeiten.

Diese Szene verdeutlicht alles, was den Produzenten Quincy Jones ausmachte. Er wusste noch mit den kompliziertesten Stars umzugehen – und er hatte eine Nase für Hits, die sich Legionen von Musikern zunutze machten. Von Frank Sinatra bis Michael Jackson, der unter seiner Ägide zum Weltstar wurde. Quincy Jones war der Architekt des modernen Pop, eine amerikanische Legende. Nun ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.

Geboren in der Großen Depression, aufgewachsen in der Southside von Chicago, die labile Mutter im Alter von sieben Jahren verloren – die Chancen stehen nicht gut für Klein-Quincy. „Ich wollte Gangster werden, bis ich elf war“, erzählt er im Netflix-Dokumentarfilm „Quincy Jones – Mann, Künstler und Vater“. Er zeigt Narben an Händen und Schläfe her. „Das war ein Springmesser, das ein Eispickel.“

Der Berufswunsch ändert sich, als er mit 14 dem 16-jährigen Ray Charles über den Weg läuft. Die beiden starten eine Band, Charles am Piano, Jones an der Trompete. Ein Musikstudium in Boston später landet der Multiinstrumentalist in New York, spielt mit Lionel Hampton und Dizzy Gillespie, studiert klassische Komposition in Paris. Er schreibt und arrangiert für die Crème de la Crème, freundet sich mit Sinatra an, hat selbst Hits wie „Soul Bossa Nova“. In den Sechzigern avanciert er zum gefragten Film-Komponisten.

Quincy Jones ist also selbst ein Star, als er sich um Michael Jackson kümmert. Der junge Mann ist trotz seiner Erfolge mit den Jackson Five Ende der Siebziger so schüchtern, dass er sich beim Singen hinter der Couch versteckt. Doch das Album „Off the Wall“ geht durch die Decke. Mit der Vaterfigur hinter den Reglern startet Jacko durch – in weniger als zwei Monaten nehmen die zwei Genies „Thriller“ auf. „Das war, wie eine Rakete zu reiten“, erinnert sich Jones später. Der Sound entzieht sich jeder Kategorisierung, steht fest im Disco-Funk der Siebziger, flirtet aber mit der New Wave und sogar mit Hardrock – auf „Beat it“ spielt Eddie Van Halen Gitarre. Jones macht Stars zu Weltstars. Zu dieser Zeit gelingt ihm alles: 1985 wird er Filmproduzent, das Rassendrama „Die Farbe Lila“ mit Regisseur Steven Spielberg ist ein Kassenschlager. Michael Jacksons „Bad“ (1987) zementiert seinen Ruf als „King of Pop“. Jones ist der Königsmacher.

Doch unter all dem leidet sein Privatleben. Er beschließt, sich nun um seine Familie zu kümmern. Zu den emotionalsten Momenten der Netflix-Doku gehört, wie rührend ihn seine sieben Kinder betreuen, als er 2015 kollabiert. Jones hat schon früher nur knapp ein Aneurysma überlebt, und er schafft es auch diesmal, nimmt die zahllosen Kränze für sein Lebenswerk entgegen – 2025 sollte es der Ehren-Oscar sein.

Jetzt ist er in seinem Haus in Bel Air in Los Angeles gestorben – im Kreise seiner Familie. „Obwohl dies ein unglaublicher Verlust für uns ist, feiern wir das großartige Leben, das er gelebt hat, und wissen, dass es nie einen anderen wie ihn geben wird“, heißt es in einem Statement. In der Dokumentation sagt er selbst: „Deine Musik kann nie mehr oder weniger sein, als du als Mensch bist.“ Wenn das stimmt, hat er in seinem langen Leben alles Wesentliche richtig gemacht.
JOHANNES LÖHR

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