Bauchkrämpfe in der Wolfsschlucht: Szene mit (v.li.) Andreas Mattersberger als Kaspar, Luke Sinclair als Max und Georg Clementi als Samiel in der Inszenierung von Johannes Reitmeier. © Tobias Witzgall
Seit der Barockoper funktioniert das. Mag sich die Handlung noch so verknäueln, mag den Bühnenpersonen Bedrohliches bis zum Lebensverlust drohen oder einfach nur finsteres Brüten in auswegloser Situation: Plötzlich schlägt die Musik um, und da ist diese mahnende Figur, meist ein Mann, der alles rettet oder zumindest mit erbaulichen Worten auf Kurs bringt. Anfänglich kam der von oben aus der Bühnenmaschinerie, deshalb Deus ex machina, bei Carl Maria von Weber trägt er Lumpen, es ist der christliche Eremit.
Doch der versagt in Salzburg, dabei hat ihn Martin Summer so schön gesungen. Aber Max, dem die salbungsvolle Ansprache gilt und der einen fatalen Pakt mit dem Bösen schloss, der schaut zurück. Und erblickt: Samiel. Eine Verlockung, so stark, dass selbst seine gerade gerettete Braut Agathe aus dem Sinn gerät. Es ist kein Happy End, mit dem dieser „Freischütz“ endet. Und vielleicht hat Regisseur Johannes Reitmeier sogar Recht – als ob sich dunkle Versuchungen mit zehn Minuten Bass-Monolog aus der Welt schaffen ließen.
Symptomatisch ist diese Finalszene für die ganze Aufführung des Salzburger Landestheaters. Im Grunde ist Carl Maria von Webers Hit so gut wie uninszenierbar. Wer ihn vom Blatt spielt, riskiert ungewollte Komik. Und wer all den Biedermeier inklusive „Johotrallala“ brechen will, Regie-Krämpfe. Reitmeier bewegt sich mit Thomas Dörfler (Bühne) und Katja Schindowski (Kostüme) dazwischen. Betulichkeits-Alarm wird in diesem „Freischütz“ nicht ausgelöst, weil die Regie alles herunterkühlt. Der fast ständig präsente Samiel in Lack, Leder und rotem Kunstpelz bedroht Max und seine Lebensliebe (Georg Clementi kostet das aasig aus). Die Dorfgesellschaft formiert sich immer wieder zur Phalanx: Die gutbürgerlichen Feierbiester des ersten Bildes und die Wolfsschluchtgeister sind identisch. Als später die Jungfern mit dem Kranz kommen, sind das vier dämonische Frauen – Agathes Brautkleid wird zum stoffstarren Gefängnis.
All dies passiert im Cinemascope-Format. Einmal pro Saison bespielt das Landestheater die Salzburger Felsenreitschule. Die Regie dürfte sich also austoben, tut es hier aber nicht. Ein Steg überspannt alles, eine Wendeltreppe führt aus der obersten Arkade hinunter. Überall Zielscheiben, meist stilisiert, die größte ist mit konzentrischen Schwarz-Weiß-Kreisen auf den Boden gemalt. Als es an die Zentralszene geht, fährt ein Kubus mit Altar nach oben: In der Wolfsschlucht feiern Kaspar und Samiel eine schwarze Messe. Die Gespenster spuken dabei nicht über die Bühne, sondern im Innern von Max. Als Kaspar ihm immer wieder ein Getränk per Messkelch aufnötigt, erbricht er jede einzelne der Freikugeln.
Reitmeier erfindet mit seinem „Freischütz“ das Rad nicht neu. Manches gleitet ins Surreale, ob alles Vision von Agathe, Max oder vielleicht Kaspar, man weiß es nicht. Und es gelingen sogar intime Momente auf der Riesenbühne, gerade weil Regie und Ausstattung nicht draufdrücken und in den Chor-Szenen auch Oratorisches zulassen. Sehr versiert ist das arrangiert und ohne Thesenschweiß durchdacht. Die Musik könnte sich leicht Raum erobern, aber Leslie Suganandarajah, Chefdirigent des Landestheaters, lässt sich nicht recht aus der Reserve locken. Ein sorgsamer Sachwalter der Partitur, das Mozarteumorchester spielt mit gepflegter Dramatik.
Luke Sinclair als Max ist kein strahlender Held. Man hört einen großen Stimmumfang, unforcierte Ausbrüche, aber auch rauchige, belegte Töne – in diesem Fall passt das. Athanasia Zöhrer als textklare Agathe ist eine echte Jugendlich-Dramatische, also über die Partie ein wenig hinaus. Ihren Sopran kann sie gut kanalisieren und lenken, die Figur wird damit aus der sonst üblichen, beseelten Passivität geholt. Andreas Mattersberger drückt als Kaspar nicht dämonisch drauf, sondern ist als baritonrauer Besonderling ein guter Typ – auch weil er schauspielerisch am meisten mitbringt. Nicole Lubinger macht als Ännchen vokal wett, was ihr die Regie vorenthält. Manche Mono- und Dialoge ziehen sich, ein altes „Freischütz“-Leiden. Wer nicht durchwegs Muttersprachler zur Verfügung hat, darf gern beherzter mit dem Rotstift umgehen. Man muss das Stück ja nicht so zausen wie Philipp Stölzl in Bregenz.
Weitere Vorstellungen
am 9., 15., 24., 28. und 30. November sowie am 4. Dezember; Telefon 0043/662/871 51 22 22.