Bot keinen Wohlfühl-Beethoven: Vladimir Jurowski. © Hoesl
Beethovens Neunte weckt viele Assoziationen – bei älteren Generationen vielleicht am stärksten an den Berliner Mauerfall, als Dirigent Leonard Bernstein beim Festakt statt „Freude“ kurzerhand „Freiheit, schöner Götterfunken“ singen ließ. Durch die Verwendung als offizielle EU-Hymne schwingt bei diesem Werk eigentlich immer ein gewisser politischer Aspekt mit. Und das ist gerade im aktuellen Klima auch gut so!
Dass die derart häufig gespielte Symphonie auch für Vladimir Jurowski eine Botschaft über das Musikalische hinaus hat, war beim Akademiekonzert des Bayerischen Staatsorchesters offensichtlich. Hatte er als Prolog doch den „Survivor from Warsaw“ vorangestellt. Arnold Schönbergs kurze, aber gewichtige Vertonung von Erinnerungen aus dem Warschauer Ghetto. Hier eindringlich gestaltet von Bass Christof Fischesser, der anschließend mit Hanna-Elisabeth Müller, Emily Sierra und Daniel Behle beim Beethoven ein engagiertes Solistenquartett bildete, das im Finale jedoch leider zunehmend vom Orchester überdeckt wurde.
Die von Jurowski (und weiteren Dirigenten-Kollegen) bereits andernorts erprobte Verzahnung von Beethoven mit Schönberg zeigte auch im Nationaltheater durchaus ihre Meriten. Denn vom „Schma Israel“-Chor nahtlos in die ersten Takte der gern als Feiersymphonie verwendeten Neunten hinüberzugleiten, ließ den Klassiker tatsächlich in anderem Licht erscheinen. Vor allem, weil Jurowski dem Publikum keinen Wohlfühl-Beethoven gönnte, sondern mit breiten Tempi eine scharfkantig spröde Interpretation vorstellte. Was es umso bedauerlicher machte, dass die Spannung vor dem dritten Satz durch eine Pause zum Nachstimmen und Umgruppieren des Chores nahezu komplett abriss. Wodurch auf der Zielgeraden quasi noch einmal ein Neuanfang folgte. Zwar war Jurowski auch nach der Unterbrechung weiterhin sehr detailverliebt am Werk und schien darauf bedacht, gerade die Holzbläser klar herauszuarbeiten. Doch die Balance zwischen Chor und Orchester drohte nun mehr als einmal gefährlich aus dem Ruder zu laufen. Beim enthusiastischen „Bravo“-Rufer, der von oben aus der Galerie den Applaus kräftig anfeuerte, mag dies womöglich anders geklungen haben. Unten im Parkett hätte man sich zuweilen etwas mehr Homogenität im Klang gewünscht.
TOBIAS HELL