Teilhabe trifft Ungewissheit

von Redaktion

Die Bayerische Staatsbibliothek zeigt die Ausstellung „EinBlick“ zu Volker Hinz

Pressefotografie mit Komik: Helmut Kohl als Kanzlerkandidat der Union im Legoland während seines Wahlkampfs 1976. © Volker Hinz/Bayerische Staatsbibliothek

Doch, es gibt auch Fotos von Helmut Schmidt, die ihn ohne Zigarette zeigen. Eines dieser raren Exemplare ist jetzt – passend – in der Bayerischen Staatsbibliothek zu bewundern, einem der wohl rauchfreiesten Gebäude ganz Münchens. Aber, oh Schreck, eine Zigarette ist trotzdem auf dem Foto zu sehen! Sie gehört nicht Schmidt, sondern Willy Brandt, der neben seinem Genossen sitzt und sich vertraulich zu ihm hin beugt, während Schmidt mit Pokerface in die Ferne schaut.

Was mögen die beiden da beredet haben, wie war die Stimmung in dem Moment? Die Psychologie dieses Bildes ist spannender als viele Fernsehkrimis und vermittelt dem Betrachter eben dadurch das „Live-Gefühl“, direkt dabei zu sein; mittendrin im Geschehen der Politik, während gleichzeitig das Rätsel bestehen bleibt, worum es da gerade geht. Aber dieser Mix aus Teilhabe und Ungewissheit macht nicht nur den erzählerischen Reiz des Bildes aus, sondern erhöht es fast zur Allegorie demokratischer Systeme schlechthin: einerseits ist alles offen und transparent, aber gleichzeitig kriegt man nichts mit.

Auch insofern ist das Bild beispielhaft für die Kunst des Fotografen Volker Hinz (1947-2019), der fast 40 Jahre lang für den „Stern“ tätig war und als einer der herausragendsten Pressefotografen überhaupt gilt. Immer wieder gelang es dem Autodidakten, mit sicherem Instinkt den pointiertesten, sozusagen aphoristischen Moment festzuhalten – ganz egal, ob er Politiker fotografierte, Popstars, Künstler oder einfach grelle Alltagsszenen aus New York, wo er acht Jahre lang lebte.

Dass die Bayerische Staatsbibliothek unter dem Titel „EinBlick“ Volker Hinz jetzt eine faszinierende Ausstellung widmet, ist kein Zufall: Vor einigen Jahren hat sie den Nachlass des Hamburger Fotografen übernommen, der 1,3 Millionen Bilder umfasst (wir berichteten). Die 200 Fotos, die für die Schau ausgewählt wurden, beschränken sich auf den Themenbereich Politik und zeigen hauptsächlich prominente Akteure der Siebziger- und Achtzigerjahre, aber teils auch aus späterer Zeit. Für jüngere Besucher ist die Ausstellung daher zudem ein heiteres Prominentenraten: Wer war etwa Josef Ertl, der hier im Unterhemd beim Kugelstoßen abgelichtet ist? Dem reiferen Publikum werden hingegen Momente bittersüßer Nostalgie beschert.

Derart bewegt stellt man fest, dass auch Volker Hinz’ Bilder meist etwas Bewegtes haben, eine äußere, aber mehr noch innere Dynamik. Das ist nicht nur ein Zeichen von Könnerschaft, sondern fast schon so auffällig, dass man sich fragt, ob der Fotograf die Attitüde des Reportagehaften nicht sogar bewusst vorführt, als wolle er uns augenzwinkernd darauf hinweisen, dass es ohne einen Schuss Boulevard nicht geht.

Und auch nicht ohne Komik! Etwa in dem Bild, das Helmut Kohl als Riesen zwischen den Miniaturhäuschen in Legoland zeigt.

Überhaupt auffällig: Obwohl (oder weil?) damals viel heftiger gestritten wurde, etwa über Atomkraft oder Nachrüstung, wirken die Politiker von einst deutlich gelassener, souveräner, als die heutigen, denen die verbiesterte Humorlosigkeit oft schon ins Gesicht geschrieben scheint. Woran das liegen mag? Wahrscheinlich wird inzwischen einfach zu wenig geraucht, denn Puritanismus hat Menschen noch nie locker und sympathisch gemacht.
ALEXANDER ALTMANN

Bis 2. Februar

So.-Fr., 10-18 Uhr,
Ludwigstraße 16;
Eintritt frei.

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