Auf ergreifende Weise bringt Yo-Yo Ma sein Instrument zum Singen und Schluchzen, später entlockt er ihm dämonische Klänge. © JOAQUIN SARMIENTO
Er gilt als lebende Legende: Yo-Yo Ma, 69-jähriger Star-Cellist, 19-facher Grammy-Gewinner. Doch während sich manche Kollegen seines Kalibers von austauschbaren Klavier-Knechten begleiten lassen, pflegt Ma seit vier Jahrzehnten eine äußerst fruchtbare Partnerschaft auf Augen- und Ohrenhöhe – mit der brillanten britischen Pianistin Kathryn Stott. Beim Münchner Konzert des Duos im Herkulessaal bedankt er sich in einer bewegenden Publikumsansprache bei ihr für die beglückende Zusammenarbeit. Wehmut schwingt mit in seinen Worten, denn Stott hat angekündigt, zum Ende dieses Jahres ihre Karriere zu beenden. Ein großer Verlust, wie sich an diesem Abend zeigt.
Die 65-Jährige erweist sich einmal mehr als extrem sensible Musikerin, die alle pianistischen Herausforderungen so souverän wie unprätentiös bewältigt und Akzente setzt, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Stets stimmt die Balance; man spürt die Harmonie, die Vertrautheit, das blinde Verständnis zwischen ihr und Yo-Yo Ma. Faszinierend, wie sie gemeinsam atmen, wie ihre Stimmen verschmelzen, als kämen sie aus einem einzigen Organismus.
Zu Beginn des klug zusammengestellten Programms lassen sie fünf Miniaturen von Fauré über Dvorák bis Boulanger nahtlos ineinander übergehen. Das Resultat ist dabei keineswegs, wie man befürchten könnte, ein lauwarmes Kurkonzert-Potpourri: Mit ausgefeilter Interpretationskunst veredelt das begnadete Duo vielmehr die Petitessen zu funkelnden Preziosen. Im Largo-Lamento von Schostakowitschs Sonate op. 40 bringt Yo-Yo Ma sein Instrument auf ergreifende Weise zum Singen und Schluchzen, ehe er mit Kathryn Stott die dämonische Doppelbödigkeit des vierten Satzes herausarbeitet. César Francks große A-Dur-Sonate gelingt schließlich wie aus einem Guss, vom sanft wiegenden Leitmotiv am Anfang bis zum elektrisierenden Kanon im Finale. Die beiden musizieren mit Lust und Leidenschaft, mit kindlicher Neugierde und jugendlicher Energie – kaum zu fassen, dass das bald für immer vorbei sein soll.
Nach der Pause wendet sich Kathryn Stott ans Publikum: In diesen seltsamen Zeiten könne die Musik Hoffnung und Trost spenden – und uns helfen, wieder zu innerer Ruhe zu finden. Zum Beweis folgt Arvo Pärts in gebrochenen Dreiklängen ruhig dahinfließende Meditation „Spiegel im Spiegel“, die das Traum-Duo äußerst langsam angeht. Trotzdem gelingt es den beiden, die Spannung zu halten und so zu demonstrieren, dass man auch simpel erscheinende Musik ausdrucksstark gestalten und ihr eine enorme Tiefe verleihen kann. Zehn Minuten pure Schönheit sind das, reinster Eskapismus, Balsam für die Seele. Der Saal hält den Atem an. Und am Ende entlädt sich die Begeisterung in minutenlangen Standing Ovations.
MARCO SCHMIDT