Sinnenfrohe Raubkunst

von Redaktion

Das Museum 5 Kontinente zeigt den „Kolonialismus in den Dingen“

Wann ist ein Kunstwerk kolonial? Auch diese Frage stellt die kreative, faszinierende Münchner Ausstellung, hier eine Kopfaufsatz-Maske aus Nigeria (vor 1905). © Nicolai Kästner

Den Kopf in beide Hände gestützt, so philosophiert er still, dieser Bruder von August Rodins „Denker“. Beide sind Sitzfiguren, nur dass der eine von der philippinischen Insel Luzon kommt und unfreiwillig im Münchner Museum 5 Kontinente gelandet ist, während der andere in der französischen Heimat bleiben durfte und vom Weihrauch, höchste Kunst zu sein, umweht ist. Die Anito/Ahnenfigur (vor 1878) begrüßt nun die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung „Der Kolonialismus in den Dingen“ und animiert sie, selbst nachzugrübeln, wie wir mit dieser Art von Raubkunst umgehen wollen und sollten.

Trotz des ernsten Themas, trotz profunder Forschungsarbeit des Historikers und Kurators Richard Hölzl ist die Schau eine sinnenfrohe Angelegenheit. Das liegt in erster Linie an den faszinierenden Stücken von der praktischen Steinschleuder aus Papua-Neuguinea über eine charmant emaillierte Deckeltasse aus China bis hin zum grandiosen Skulpturenreigen des Tangués/Schiffsschnabels eines Rennboots der Bele Bele (Kamerun). Das liegt in zweiter Linie an der so luftig wie lustvoll inszenierten Präsentation durch das Gestalterteam Die Werft und in dritter an der pointierten Zusammenfassung von Hölzl, die erstaunlich vielfältig informiert. Niemand wird über- und schon gar nicht unterfordert bei dieser äußerst gelungenen Exposition.

Das Museum 5 Kontinente zeigt sich, basierend auf mehreren wissenschaftlichen Projekten zur Kolonialismus-Verstrickung, kreativ und, ja, fast fröhlich reflektiert. Das scheint zu gelingen, weil man offen ist, mit Vertreterinnen und Vertreten der beraubten Gemeinschaften auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten und zur eigenen oft auftretenden Ratlosigkeit zu stehen. Beides ermöglicht eine große menschliche Bereicherung, wie Hölzls Erzählungen bei der Pressevorbesichtigung spüren ließen.

Die Ausstellung geht zunächst in einer großen Vitrine auf die Museumsgeschichte ein von der Ethnographischen Sammlung (1862/68) mit kolonialen Objekten über ein koloniales Museum (1887-1918), das Artefakte aus den von Deutschland besetzten Gebieten an sich raffte: aus heute Togo, Kamerun, Namibia, Tansania, Ruanda, Burundi, aus dem chinesischen Kiautschou/Qingdao sowie aus Ozeanien von Teilen Neuguineas bis zu Gegenden der Samoas.

In den 1920er-Jahren, man war aus den engen Hofgarten-Arkaden in den Bau an der Maximilianstraße umgezogen, rückte der Weltkunstgedanke in den Mittelpunkt (Künstler unter anderen des Blauen Reiters hatten ihn bereits vor dem Ersten Weltkrieg forciert), natürlich mit geraubten oder abgepressten Werken aus Kolonien, egal ob deutschen, britischen oder spanischen. Der erwähnte Anito war ein Geschenk des Münchner Sammlers Heinrich Rothdauscher, der als Apotheker auf den Philippinen gearbeitet hatte. Er bekam sie von einem spanischen Offizier geschenkt, der sie ohne Einverständnis des Familienoberhaupts einer einheimischen Gruppe an sich gebracht hatte. Dieser schaffte es immerhin, die geweihte Statue durch einen Ritus zu entweihen, sodass der Ahnengeist von ihr losgelöst werden konnte.

In der Nazi-Zeit wurde das Museum zur rassistischen Propagandamaschine. Danach wollten die Verantwortlichen möglichst nichts wissen von den zahllosen, oft blutigen Geschichten, die mit den tausenden von kolonialen Artefakten in den Schauräumen und Depots zusammenhängen. Richard Hölzl erzählt in seiner Schau viele davon: Da sind die indigenen Intellektuellen, die den angeblichen Forschern auf die Sprünge halfen – und es heute wieder tun. Da sind Akteure wie die Missionarin und der Militärarzt, da sind die Kolonialismus-Kritiker, Händler, Gelehrten und die angeblichen Helden, die arme Afrikaner vor bösen Arabern retteten. Allerdings danach möglichst alle ausbeuteten, beraubten oder gar ermordeten. Zuhause erhielten sie dafür Auszeichnungen, hielten als Kolonial-Aktivisten Vorträge und verschenkten mäzenatisch das Raubgut.

Das Museum 5 Kontinente steht nun zwischen der Frage „Wann ist ein Kunstwerk kolonial?“ und dem ethischen Anspruch ehrliche (Rückgabe-)Lösungen zu finden. Hoffnung keimt auf, weil das Team auf gute, kompetente und intensive Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Herkunftsländer vertrauen kann.
SIMONE DATTENBERGER

Bis 18. Mai 2025,

Di.-So. 9.30-17.30 Uhr;
Katalog, Schnell + Steiner:
35 Euro; Infos inklusive Begleitprogramm: www.museum.fuenf-kontinente.de; Telefonnummer: 089/2 10 13 61 00.

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