Feinsinniges aus dem Vielvölker-Dickicht

von Redaktion

Der Jazz-Bassist Or Bareket gastiert mit seinem Quartett in der Münchner Unterfahrt

Wahrscheinlich muss man für diese Musik einfach nach New York gehen. Or Bareket, geboren 1985 in Jerusalem, aufgewachsen in Buenos Aires und Tel Aviv, mit familiären Wurzeln in Marokko und Irak, war dafür wohl schon von seiner Herkunft prädestiniert. Nur im Vielvölker-Dickicht des Talent-Magneten, in dem der Bassist seit 2011 lebt, konnte Bareket Musiker finden wie den so eleganten wie energiegeladenen Saxofonisten Godwin Louis, einen melodisch und harmonisch so versierten Piano-Virtuosen wie Jeremy Corren und eine Schlagzeugerin wie Savanna Harris, die ungerade Metren und Polyrhythmen gleichermaßen komplex und selbstverständlich klingen lassen kann.

In der Münchner Unterfahrt bewegt sich Barekets Quartett, für das der Leader alle Kompositionen geschrieben hat, wie ein stufenlos synchronisiertes Dynamikgetriebe zwischen lyrischer Schönheit und rauer Kantigkeit. Harris ist eine Meisterin darin, Metren raffiniert zu camouflieren, Rhythmen zu verdichten, ohne dass je der pulsierende Flow abreißt. Louis und Corren testen solistisch die Belast- und Dehnbarkeit des harmonischen Grundgerüsts, ohne es zu zerstören. Bareket steuert die Musik souverän aus dem Hintergrund, spielt seine Virtuosität eher selten aus. Aber wenn er die zweite Zugabe allein spielt, denkt man, dass man so viel feinsinniger Erzählstruktur auch ein ganzes Solo-Set lang mit Gewinn folgen würde. „Yom“ heißt die aktuelle CD von Or Bareket, von der das Konzert-Repertoire stammt. Es ist das hebräische und arabische Wort für Tag – den man bekanntlich nicht vor dem Abend loben soll. Nach diesem Abend aber muss man das Or Bareket Quartett für höchste Spielkultur loben, wie sie in dieser Intensität immer noch am häufigsten aus New York kommt.
REINHOLD UNGER

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