Institutsdirektor Andreas Wirsching in der Bibliothek des IfZ. die orangen Teppiche überall im Haus sind legendär. © Marcus Schlaf
In einem wuchtigen Betonklotz an der Münchner Leonrodstraße residiert das Institut für Zeitgeschichte. © Marcus Schlaf
Eine Institution wird 75. In einer Wohnung in der Reitmorstraße im Münchner Lehel fing es an: Mit zwei Angestellten, einer Halbtagsschreibkraft und 28 Kisten mit Unterlagen der Nürnberger Prozesse startete am 1. Mai 1949 das Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik – das heutige Institut für Zeitgeschichte (IfZ), das seinen Geburtstag am kommenden Mittwoch mit einem Festakt begeht. Es residiert heute in einem wuchtigen Betonklotz an der Leonrodstraße.
Die grell-orangefarbenen Teppiche, die überall verlegt sind, verursachen Augenschmerzen, sind aber Bestandteil des Denkmalschutzes und spiegeln auch ein bisschen die Geschichte. Wer mag, fühlt sich erinnert an die Farbgebung der frühen 1970er-Jahre. Ist das IfZ-Orange nicht ganz ähnlich dem des Olympia-Orange, das der Designer Otl Aicher damals zu einer der Olympia-Farben erkor? Es würde passen, denn die Hintergründe des Münchner Olympia-Attentats 1972 werden seit vergangenem Jahr unter der Ägide des IfZ erforscht – neben vielen anderen Projekten, die es schon gab, wird dieses zweifellos erneut große, auch internationale Beachtung finden.
Der Output des Instituts, geleitet von Direktor Andreas Wirsching, der sich vor allem als Wissenschaftsmanager versteht und mit großen Erfolg Forschungsgelder an Land gezogen hat, ist in jüngster Zeit ohnehin gewaltig: sieben Bände über die Wehrmacht in der NS-Diktatur, eine kritische Edition von „Mein Kampf“, 16 Bände Quellen zur Geschichte des Holocaust, ein „Schriftdenkmal“, das internationale Beachtung findet. Fast unter geht, dass das IfZ auch noch ein Forschungsprojekt über die NS-Vergangenheit im demokratischen Bayern gestartet hat, neun Bände sind im Erscheinen. Es ist das nunmehr vierte Bayern-Projekt des Instituts. Etwas erschlagen liest man diese Bilanz und denkt sich: Wer, bitte, kann das alles lesen?
Wirsching wird das Haus 2025 altersbedingt verlassen, die Nachfolgesuche läuft. Wird dann angestoßen, was bisher fehlt und auf das die IfZ-Mitarbeiter Frank Bajohr und Magnus Brechtken in einem neuen Sammelband „Zeitzeugen, Zeitgenossen, Zeitgeschichte. Die frühe NS-Forschung am Institut für Zeitgeschichte“ (Wallstein Verlag) hinweisen: eine Geschichte über das Institut? Das wäre ein interessantes Unterfangen. Lange Jahre war das Verfassen von Gutachten zu Konzentrationslagern, zur NS-Besatzung in den europäischen Ländern, zu vielen Einzelheiten der NS-Verbrechen eine Hauptaufgabe des Instituts.
Die Anfragen von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Wiedergutmachungsbehörden gehen in die Tausende, schreiben Bajohr und Brechtken. Die Gutachten lieferten wertvolle Hintergründe, waren aber doch verfasst von Mitarbeitern, die selbst eine Vergangenheit hatten. Der langjährige Institutsdirektor Helmut Krausnick etwa war schon vor 1933 zunächst der deutschnationalen und republikfeindlichen DNVP, dann sogar der NSDAP beigetreten. Krausnick hatte indes seine Lehre aus der NS-Diktatur gezogen – seine Gutachten zur SS waren epochemachend, wenngleich er irrtümlich, wie man heute weiß, an einen zentralen „Führerbefehl“ zur Judenvernichtung glaubte. Man sieht: Die Aufklärung muss weitergehen, auch zur Institutshistorie selbst. Es muss ja nicht gleich ein mehrbändiges Werk dabei herauskommen.
DIRK WALTER