„Das kann man mit mir nicht machen.“ Frieda (Liliane Amuat) behauptet sich als Frau vor den Kleinstadt-Machos. © Birgit Hupfeld
Mitten in der Party, als die Ekstase eskaliert, fällt der Satz, der hier alles erklärt. Und natürlich ist es eine Frau, die ihn ausspricht. Da geht es also um Frieda und um die Tatsache, dass sie das andere Geschlecht nicht nur aus Büchern kennt. Die junge Frau ist kein „unbeschriebenes Blatt“, wie Mann so sagt. Gustl verteidigt seine Flamme dennoch: „Das bin ich auch nicht.“ Dann haut ihm seine Mutter das um die Ohren: „Das ist nicht dasselbe.“
Nein, ist es nicht. Frauen und Männer werden nicht gleich behandelt. Nicht, wenn es um Erotik und Sexualität geht. Nicht, wenn es um Arbeit und Finanzen geht. Marieluise Fleißer (1901-1974) berichtet davon in ihrem einzigen Roman, dem 1931 erschienenen „Mehlreisende Frieda Geier“. Im Jahr 1972 brachte die Ingolstädter Autorin das Buch dann überarbeitet und geschärft mit dem Wissen um die Nazi-Zeit als „Eine Zierde für den Verein“ noch einmal heraus.
Unter diesem Titel hat Elsa-Sophie Jach nun die Bühnenfassung des Textes fürs Bayerische Staatsschauspiel inszeniert; am Samstag war Premiere im Marstall. Die Regisseurin und ihre Dramaturgin Constanze Kargl knüpfen in ihrer Adaption inhaltlich jedoch am Ursprungstitel an und stellen Fleißers Protagonistin ins Zentrum, gleichwohl sich das Buch auf deren Schwarm Gustl Gillich konzentriert.
Diese Frieda Geier, von der Schriftstellerin durchaus autobiografisch konzipiert, tingelt in den letzten Jahren der Weimarer Republik als Mehlverkäuferin durch Bayerns Orte und Kleinstädte. Das Überleben ist ein täglicher Kampf: Jach zeigt das gleich in der ersten Szene ihrer Inszenierung; sprachlich spart Fleißer hier nicht mit kriegerischem Vokabular.
Frieda und Gustl, als Schwimmer jene „Zierde für den Verein“, der dem Roman seinen heute gültigen Titel gab, verlieben sich ineinander. Er hat gerade erst ein Tabakgeschäft eröffnet, das jedoch auf sehr, sehr kleiner Flamme glimmt. Zum Bruch kommt es, als Gustl seine Geliebte beruflich einspannen will. „Er will die Frau als Arbeitskraft im eigenen Geschäft ausmünzen, ihr nichts dafür zahlen“, schreibt Fleißer. Und lässt Gustl gegenüber Frieda predigen: „Das Recht auf deine Arbeitskraft steht sowieso deinem Mann zu.“ Damit nicht genug: Er will auch an Friedas Rücklage, ans Erbe ihrer Schwester Linchen. Dass jedoch in der weiblichen Existenz mehr steckt, als Unterstützerin des Mannes zu sein: Für Frieda ist das klar – „ich müsste mir von dir hineinreden lassen. Alles müsste nach deinem Kopf gehn.“ Für ihre Schwester und deren Ausbildung verteidigt sie diese Gewissheit gegen die männliche Übergriffigkeit und opfert dabei nicht nur ihr eigenes (Liebes-)Glück.
Jach beginnt und beendet diese 105 Theaterminuten mit Zitaten aus Briefen Fleißers, die klarmachen, wie viel ihrer eigenen Geschichte im Roman steckt. Von den Nazis mit Schreibverbot belegt, heiratete die Autorin 1935 den Tabakhändler Sepp Haindl. „Schlimm ist es dann erst in der Ehe geworden, weil ich im Laden helfen musste und nicht mehr schreiben konnte“, notierte sie 1948. Diese Rahmung mag pädagogisch wirken, betont jedoch die Dringlichkeit des Abends.
Die hätte sich in der Inszenierung indes noch sehr viel schärfer spiegeln dürfen. Ausstatterin Aleksandra Pavlovic setzt ihre Begeisterung für halbrunde Bühnenelemente (wie in „Die Fliegen“, inszeniert von Jach) und Brunnen (á la „Die Unerhörten“, ebenfalls in der Regie von Jach) hier fort. Wie im Hörsaal oder Amphitheater steigen auf der Bühne im Marstall die Schwimmbad-blauen Ränge an – mit perfektem Blick aufs Bassin in der Mitte. Hierin stählt nicht nur die (männliche) Jugend ihre Körper für den (Überlebens-)Kampf. Dies ist auch der Abgrund, in den die von Fleißer porträtierte engstirnige, autoritätsgläubige, frauenfeindliche Kleinstadt-Gesellschaft stürzen wird.
Liliane Amuat als Frieda und Thomas Lettow, der Gustl zwischen Charmebolzen und Kotzbrocken schillern lässt, haben einen sehr überzeugenden Zugang zu Fleißers karger, artifizieller und unbarmherziger Sprache gefunden. Im Zusammenspiel der beiden wird die Brutalität der Geschichte nachvollziehbar. Amuat glückt es sehr sensibel, Frieda als selbstbewusste Frau zu zeigen – ohne sie dabei allzu gegenwärtig zu gestalten. Lettow zögert den Moment hinaus, in dem sich die Misogynie Gustls Bahn bricht – und er den Korpsgeist der Kameraden benötigt, um sich wieder aufzurichten. Hier wird schlagartig klar, was Fleißer meint, wenn sie bemerkt, sie habe „vorfaschistische Verhaltensweisen“ schildern wollen. Jach verweist in diesen Augenblicken am eindrücklichsten ins Heute.
Andere Aspekte wie der Antisemitismus oder Gustls Vereitelung eines Eisenbahnattentats, für die Fleißer freilich genug Raum zur Ausarbeitung hatte, finden sich zwar auch in der Bühnenfassung. Doch bremsen sie die Inszenierung leider unnötig aus. Der Fakt, dass „Männer sich anders einstellen müssen“, damit Frauen sich endlich freischwimmen können, sollte schließlich für genug Theater sorgen.
Langer, heftiger Applaus.
MICHAEL SCHLEICHER
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