Vulkan der Oper

von Redaktion

Zum 80. Geburtstag der unvergleichlichen Mezzosopranistin Agnes Baltsa

Mehr Energie im kleinen Finger als alle anderen zusammen hatte Agnes Baltsa an ihren besten Abenden. © Wilfried Hösl

Als Mutter-Biest Klytämnestra in der „Elektra‘“-Inszenierung von Herbert Wernicke an der Bayerischen Staatsoper. © Wilfried Hösl

Manchmal tat sie gar nichts mehr auf der Bühne. Eine Erstarrung zur Singsäule, ein heißes Eis. Weil da diese Präsenz war, die alles und alle an die Wand drückte. Dazu ein Gesang, der im besten Sinne gestisch war, sodass jede Armbewegung, jeder Gang nur unnütze Verdoppelung gewesen wäre. Das wusste und weiß Agnes Baltsa, weil sie einen singulären dramatischen Instinkt besitzt. Diese innere Gespanntheit, gepaart mit vokalen Grenzgängen, machte die Griechin zu einer der wichtigsten Mezzosopranistinnen ihrer Zeit. Am heutigen Dienstag feiert sie ihren 80. Geburtstag.

Karajan nannte sie sogar die beste „dramatische Mezzosopranistin“, womit ungewollt Probleme und Gefahren bei der Baltsa umrissen wären. Im Grunde blieb sie eine Lyrische, die ihre Stimme dehnen, strecken und belasten konnte, ohne dass sie große Blessuren davontrug. Auch weil sie gern zum Belcanto zurückkehrte. Im Frühherbst ihrer Karriere sang sie zum Beispiel noch immer die Isabella in Rossinis „L‘italiana in Algeri“. Keine Bizarrerie eines alternden Stars war das, die Baltsa konnte weiter ihr Feinbesteck auspacken. Für die Verzierungen hatte ihre Stimme stets genügend Flexibilität, entscheidend waren aber die maliziösen, widerspenstigen, stolzen Zwischentöne. Die autarken, selbstbewussten, siegesgewissen Rollenprofile waren folglich die Domäne der Baltsa. Bühnenmänner hatten nur eine Chance, weil die Baltsa-Frauen es zuließen.

Geboren wurde sie auf der griechischen Insel Levkas. Musikalisch war Agnes Baltsa eine klassische Frühstarterin. Sie studierte in Athen, machte mit 19 Jahren ihr Diplom, gewann mit 20 den Bukarester Enescu-Wettbewerb und kam mit einem Maria-Callas-Stipendium an die Münchner Musikhochschule. Ein Fingerzeig: Von der Energie her reichte nur sie, zusammen mit Julia Varady, an die Assoluta heran. 1968 das Debüt in Frankfurt als Cherubino, 1970 war die Baltsa der jüngste Octavian in der Geschichte der Wiener Staatsoper. Ein Jahr später stand sie in Houston erstmals als Carmen auf der Bühne.

Karajan wurde zu einer Art Lebensdirigent. Er holte die Baltsa 1975 als Eboli zu den Salzburger Festspielen, nachdem Christa Ludwig die Nerven verloren hatte. Auch in fast jeder oratorischen Produktion gehörte sie fortan zum Karajan-Cast. Wobei der Maestro die Stacheln seines Lieblingsmezzos zu spüren bekam, wie sie einmal im Gespräch mit unserer Zeitung schilderte. Als die Sterbeszene der Carmen geprobt wurde, fuhr Karajan sie an: „Agnes, was für ein Blödsinn.“ Darauf sie: „Ich hab‘s mir eben so vorgestellt, schließlich bin ich noch nie tot gewesen.“

Ihr „Leben und Denken“ habe Karajan geprägt, bekannte die Baltsa. Wie von anderen forderte Karajan Grenzübertritte, José Carreras hatte sich davon nie erholt. Dramatik war dem Maestro wichtiger als Stimmgesundheit. Irgendwann, da hatte sie sich längst in den Opern-Olymp vorgearbeitet, dann der Bruch. „Es war wie in einer Ehe, ein kleiner Schönheitsfehler in unserer Beziehung, der aber innerhalb ein paar Monaten beseitigt wurde.“ Eine höfliche Umschreibung.

Besonders in Ebolis „O don fatale“ aus Verdis „Don Carlo“ zeigten sich Wohl und Wehe des Baltsa-Gesangs. Das war kein Grenzgang mehr, sondern Entäußerung um fast jeden (vokalen) Preis. Und gerade deshalb so atemberaubend, so authentisch, so kompromisslos in seiner Hochdramatik, dass die Baltsa das Publikum regelmäßig ins Delirium trieb. An ihren besten Abenden hatte die Baltsa mehr Energie im letzten kleinen Fingerglied als alle anderen Mezzos zusammen. Was nicht heißt, dass sie ein schwieriger Fall für Regisseure war. Kam darauf an, wie diese mit ihr umgingen.

„Ich mag es, wenn mir Regisseure eine Architektur inszenieren, in der ich mich frei bewegen kann.“ Seitensprünge Richtung Sprechtheater hätten sie interessiert, ihre Professionalität hinderte sie daran. Und dennoch: „Ich würde sofort Medea spielen, Mutter Courage oder Bernarda Alba“, wie sie einmal gestand. Vielleicht hätten die Schauspielhäuser ihre Vulkanausbrüche gar nicht überstanden.
MARKUS THIEL

Artikel 2 von 11