Etwas Schummerlicht und Enge vermitteln ein höhlenartiges Gefühl in der Ausstellung. © Stefanie Friedrich
Die Höhlen der Schwäbischen Alb waren gewissermaßen die üppig bestückten Kunstgalerien der Eiszeit, wie diese Exponate beweisen. © Hendrik Zwietasch
Jetzt bekommen wir es wieder mal hingeschmiert: Wir alle sind Immigranten. Circa 100 000 vor heute machten sich unsere Vorfahren aus dem Nahen Osten auf und folgten als Jägerinnen und Sammler den Herden. Über die Donauroute ging’s Richtung Europa. Vor rund 45 000 Jahren waren wir schließlich da. Ob die alteingesessenen Neandertaler begeistert waren, wissen wir nicht. Jedenfalls sind sie im modernen Menschen oder Jetztmenschen, wie der Chef der Abteilung Vorgeschichte, Heiner Schwarzberg, in der Archäologischen Staatssammlung ihn auch nennt, aufgegangen. Irgendwie schafften es die Einwanderer, in der Eiszeit ebenfalls zu überleben.
„Und mit ihnen sind wir ganz am Anfang des menschlichen Kunstschaffens“, erklärte Schwarzberg bei der Pressekonferenz zur Schau „Urformen – Eiszeitkunst begreifen“. Sie ist eine Wanderausstellung, konzipiert von der Ulmer Arbeitsgemeinschaft Weltkultursprung (sic!) und Stuttgarts Landesmuseum Württemberg, und macht nun in München Station. Die Höhlen der Schwäbischen Alb waren gewissermaßen die üppig bestückten Kunstgalerien der Eiszeit, wobei Bayern durchaus einige Funde vorzuweisen hat. Sie sind die einzigen Originale (die „Rote von Mauern“ und verschiedene Ritzzeichnungen) im Haus, in der Dauerausstellung zu finden; die temporäre Präsentation enthält Kopien davon. Sie sind wie die übrigen Repliken bemerkenswert gut bis hin zur zarten Verzierung der Oberflächen. Ob Löwenmann, kurvenreiche Damen, ob Mammuts oder Bären, man vermisst optisch nichts.
Den Mangel an echten Werken gleicht außerdem die Möglichkeit aus, viele Arbeiten berühren zu dürfen. Der Schnitzer Bernhard Böck unternahm den Versuch, die archäologischen Fundstücke so frisch nachzubilden, wie sie seine Kolleginnen und Kollegen vor 42 000, 32 000 oder 19 000 Jahren aus Mammutelfenbein, Speck- und Bernstein, Gagat und Ton geformt hatten. Diese Statuetten darf jeder Besucher im wörtlichen Sinne begreifen. Und noch mehr darf berührt, beschnuppert und angehört werden, denn das Konzept der Wanderausstellung ist offen für Sehbehinderte und Blinde.
Mit „Urformen“ wird die eine 600-Quadratmeter-Fläche bietende, stützenfreie, unterirdische Halle der „neuen“ Staatssammlung eingeweiht. Das Museum war, wie berichtet, im April nach langjähriger Generalsanierung und eindrucks- und effektvoller Neugestaltung der GesamtPräsentation wiedereröffnet worden. Mit der „fremden“ Schau übt das Haus nun erst einmal. Das Team hat beispielsweise die Verkleinerungsmöglichkeit des Saals durch eine mobile Wand genutzt. So stehen weder die Vitrinen noch die Infotafeln verloren in der Weite des Raums herum. Sie erinnern etwa an die traumhaft schöne Malerei in der Höhle von Chauvet oder an so ungemütliche Mitbewohner wie Höhlenlöwen und -bären. Ein bissl Enge und Schummerlicht vermitteln im Übrigen ein höhliges Gefühl. Das berührendere Gefühl ist, dass die Kunst die Kontinente und die Zeiten verbindet. Die Tänzerin, die Flöte, das Frauenantlitz ist wahrhaft jetztmenschlich – heute und einst.
SIMONE DATTENBERGER
Bis 21. April
Di.-So. 10-17 Uhr, Do. und So. bis 19 Uhr; Telefon: 089/125 99 69 10; weitere Informationen, auch zum Begleitprogramm, online unter www.archaeologie.bayern.