Ihr Center Court ist inzwischen der Konzertsaal. Die ehemalige Tennisspielerin Marie Jacquot leitet die Wiener Symphoniker und sieht Parallelen zwischen Sport und Musik. © PA
Längst ist sie in München keine Unbekannte mehr: Marie Jacquot, die 34-jährige Dirigentin aus Paris. Bereits vor acht Jahren hat sie als Assistentin von Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper bei der Uraufführung von Miroslav Srnkas „South Pole“ mitgearbeitet. 2023 dirigierte sie dann das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal und im Februar dieses Jahres die Münchner Philharmoniker in der Isarphilharmonie. Neues oder nicht Alltägliches – etwa die ersten Symphonien von Jean Sibelius oder Richard Strauss – liegt da gern auf dem Dirigentenpult. So auch bei ihrem Gastspiel mit den Wiener Symphonikern, an diesem Sonntag in der Isarphilharmonie.
Da erklingt, bevor die junge Spanierin María Dueñas sich Bruchs berühmtem Violinkonzert g-Moll widmet, das Adagio aus Bruckners Siebter in einer Bearbeitung. Jacquot verrät, dass das Arrangement von Ferdinand Löwe sie als ehemalige Posaunistin besonders reizt: „Löwe vereint darin die Blechbläser, darunter auch die in diesem Fall – im Gedenken an den sterbenden Richard Wagner – von Bruckner verwendeten Wagner-Tuben.“ Sie berichtet weiter, dass Löwe ein Schüler Bruckners war und dass das Arrangement zu des Meisters Beerdigung gespielt wurde. Naturgemäß mit einem traurigen Moll-Ausklang. „Wir musizieren die Konzertversion, die gemäß Bruckners Vorlage in Dur endet“, erläutert sie.
Und noch ein ungewöhnliches Werk wird am Sonntag in München zu hören sein: Die junge Dirigentin nennt es „Brahms’ Fünfte“. Dabei handelt es sich um das Klavierquartett Nr. 1 g-Moll, das Arnold Schönberg für großes Orchester bearbeitet hat.
Auch als Chefin der Königlichen Oper in Kopenhagen startete die in Graz lebende Französin heuer mit Zeitgenössischem: Manfred Trojahns „Orest“ passte bestens zum Saison-Motto. Und um möglichst viele Mitglieder ihres neuen Ensembles kennenzulernen, schickte sie Puccinis „Il trittico“ gleich hinterher.
In der übernächsten Saison, wenn ihr Vertrag mit den Wiener Symphonikern ausläuft, übernimmt Marie Jacquot die Leitung des Symphonieorchesters des WDR in Köln – als erste Frau versteht sich. Aber Gender-Überlegungen sind ihr völlig fremd: „Natürlich profitiere ich davon, dass Frauen in der jüngeren Vergangenheit den Weg geebnet und wichtige Positionen erobert haben. Dafür bin ich dankbar. Ansonsten zählt für mich der Mensch, egal welches Geschlecht oder welche sexuelle Orientierung er hat.“ Auch im Umgang mit den Orchestermusikerinnen und -musikern steht für sie der Respekt gegenüber den Menschen und gegenüber der Musik im Mittelpunkt. Ein Erfolgsrezept, wie die internationalen Engagements der 34-Jährigen verraten.
Gestählt für diesen schwierigen Job hat sie sich schon als Kind bei ihrer erfolgreichen Tenniskarriere. „Im Tennis spielt man und in der Musik spielt man auch, nicht im oberflächlichen Sinn, sondern gemeinsam.“
Als es im Sport dann aber immer stärker um das Gewinnen, um den Kampf ging, entschied sich Jacquot für die Posaune, die sie gleichzeitig erlernt hatte. „Ich bin ein Gruppenmensch“, gesteht die Musikerin, die sich aber schließlich doch aus dem Orchester löste und nach Studien in Wien und Weimar ihren Platz am Dirigentenpult gefunden hat. Als ehemalige Posaunistin fragt sie sich oft, wie sie reagieren würde, wenn sie jetzt im Orchester sitzen und nicht davorstehen würde. Sie spricht von Aktion und Reaktion, was im Tennisspiel enorm wichtig ist –„aber ähnlich auch beim Dirigieren. Nur versuche ich hier nicht zu gewinnen, sondern dem Orchester zu helfen.“
Begeistert ist Marie Jacquot nicht nur vom Zusammenspiel eines Orchesters, sondern auch vom Zusammenwirken in einem Opernhaus: „Es sind so viele unterschiedliche Individuen am Werk, aber alle haben ein Ziel! Ich wünsche mir dabei immer, dass unser kleiner Mikrokosmos mal zum Makrokosmos wird. Ein gemeinsames Ziel für die Menschheit, dass es ihr besser geht – für mich ist das das Ideal einer möglichen Gesellschaft.“
Auf ihrem Weg geht die Dirigentin Schritt für Schritt – so wie sie es als Kind beim Tennisspiel erlernte. Als interessante Projekte in dieser Saison nennt sie die Einstudierung einer unbekannten französischen Oper in Frankfurt: Albéric Magnards vervollständigte Tragédie en musique „Guercoeur“ – „eine Mischung aus Melisande und Parsifal“, erklärt sie und lacht. Außerdem führen GastDirigate sie zur Kammerphilharmonie Bremen, zum Orchestre National de France, nach Oslo in die USA und nach Kanada. Und hoffentlich demnächst auch wieder nach München…
GABRIELE LUSTER
Konzert
an diesem Sonntag, 20 Uhr, in der Isarphilharmonie. Karten unter www.muenchenticket.de.