Wollen das Schöne, das Leichte, Lustige und Charmante im Leben betonen: die Rhythmus Boys mit Ulrich Tukur (2. v. re.). © Elena Zaucke
Er ist nicht nur ein brillanter Schauspieler: Ulrich Tukur – Kino-, Theater- und Grimme-Preis-gekrönter „Tatort“-Star. Der 67-Jährige schreibt auch und er macht Musik. Am 3. Dezember in der Isarphilharmonie etwa. Im Programm „Es leuchten die Sterne“ spielt und singt er mit den Rhythmus Boys. Sie laden ein zu einer „Reise auf den Flügeln bunter Träume“. Mutmach-Musik in schwermütigen Zeiten. Ein Gespräch über Lebensfreude, Weitermachen – und das Funkeln der Sterne.
Vor genau zehn Jahren haben wir zuletzt miteinander gesprochen. Damals schrieben wir über das Interview Ihr Zitat „Lasst uns freudiger sein!“. Gilt heute mehr denn je, oder?
Ja, es sind schwierige Zeiten, die wir gerade durchmachen. Ich glaube, die Menschen haben ein großes Bedürfnis danach, wenigstens in musikalischen Paradiesen zu verschwinden.
Ihr Konzert soll Mut machen?
Selbstverständlich. Wir bieten einen poetischen Gegenvorschlag zu all dem Dreck, der sich da um uns herum aufbaut. Die hervorragendste Aufgabe der Kunst besteht für mich darin, den psychischen Aggregatzustand der Menschen zu verändern, sie ein wenig zu erheben. Die Dinge schöner zu machen, als sie eigentlich sind, und Kraft zu spenden, die grausige Wirklichkeit auszuhalten.
So schlimm?
Na ja, wir Deutschen lieben ja die Apokalypse. Aber glauben Sie mir: Man schafft es auch durch den Irrsinn unserer Tage! Ich lebe seit einiger Zeit im südlichen Italien, in einer sehr armen Region. Hier funktioniert das Leben mehr oder weniger in Familienstrukturen, sonst bräche alles zusammen. Aber: Die Leute gehen gut mit den Widrigkeiten des Lebens um.
Wie gelingt ihnen das?
Sie haben eine ganz andere Identität – sie haben eine Identität und stehen zu sich. Sie sind zum Beispiel davon überzeugt, die beste Küche der Welt zu haben. Das macht sie stolz, ob es nun stimmt oder nicht. Und sie lernen Anstand und Höflichkeit in der Familie, darum gehen sie respektvoller miteinander um. Übrigens auch mit Fremden. Aber natürlich: Wir haben alle Angst. Es entstehen geopolitische Fakten, die man vor Kurzem noch nicht für möglich gehalten hätte und vor denen man davonlaufen möchte. Doch was soll das bringen? Und genau da kommen die Rhythmus Boys ins Spiel. Depression hin oder her – Hauptsache gute Laune. In unseren konzertanten Abenden, die sehr viel Theater, Poesie und Blödsinn beinhalten, versuchen wir, das Schöne, das Leichte, Lustige und Charmante im Leben zu betonen. Das brauchen wir unbedingt.
Wie bewahren Sie sich das selbst?
Ich glaube, es ist ein Talent, das man hat oder nicht. Ich stamme aus einer eher düster grundierten Familie, negativ, traurig, im besten Fall melancholisch. Meine Großmutter aber war das genaue Gegenteil: Sie war ganz hell. Eine oberschwäbische Hausfrau voller Witz und Lebensfreude. Vielleicht habe ich von ihr einen Teil meiner Heiterkeit. Ich bin für dieses Geschenk Leben sehr dankbar. Es ist ein solches Wunder, dass wir überhaupt existieren. Und natürlich schaut man immer wieder in den Abgrund des Daseins, nur man darf nicht hineinfallen.
Dazu passt Ihr Programm, das sich den Sternen widmet. Schieben wir manchmal selbst die Wolken davor und sehen deshalb ihr Funkeln nicht?
Das haben Sie schön ausgedrückt – das stimmt, natürlich. Und wenn man sich mal so ein Teleskop besorgt und ins Weltall blickt, ist das eine fantastische Erfahrung, danach sieht man vieles anders. Es ist doch schier unglaublich: auf einem Planeten zu sitzen, der durchs All eiert, das sich immer weiter ausdehnt – und wir hocken drauf und leben! Die Sterne haben was unendlich Beruhigendes. Und die Nacht ist mir überhaupt die bessere Tageszeit.
Warum?
Weil es dunkel ist. Weil man nicht alles sieht. Man kann sich das Unsichtbare ausmalen – und das ist immer poetischer. Mein Leben in Italien zum Beispiel: Ich beherrsche die Sprache vielleicht zu 60 oder 70 Prozent, den verbleibenden Rest, den ich nicht verstehe, muss ich mir hinzudenken und mit Bedeutung auffüllen. Und das ist immer hübscher als das, was man tatsächlich hören würde.
Ein schöner Ansatz. Ich bin oft traurig über das, was mir im Französischen fehlt.
Seien Sie froh! Sie wollen nicht alles sehen und verstehen. Sonst ist es wie beim HD-Fernsehen, da sehen Sie jede Pore in den Gesichtern und das sieht furchtbar aus. Deswegen sind die alten Schallplattenaufnahmen mit ihren eher primitiven Aufnahmetechniken auch so zauberhaft: Weil die nicht jeden Ton im Raum erfassen. Es liegt ein Schleier darüber, und der birgt ein Geheimnis.
Zerstört die moderne Technik alles Geheimnisvolle?
Aber ja. Alles wird auseinandergerissen und seziert, bis nichts mehr übrig ist. Man versucht, alles auszuleuchten und einzuordnen und der Zauber, die Magie, das Geheimnis bleiben auf der Strecke. Haben Sie einmal eine Nachtigall singen hören? Im Mondlicht? Herrlich. Wenn Sie herausfinden wollen, wie sie das macht und ihr die Kehle aufschneiden, um die Stimmbänder zu untersuchen, wird sie nie wieder singen.
Wie entzieht man sich dieser Technisierung?
Sie müssen sich Auszeiten verschaffen. Es gibt ja kaum mehr private Räume, in denen Sie allein und unbeobachtet sein können. Halten Sie sich diesen menschengemachten Unsinn wenigstens zeitweise vom Leibe. Machen uns die modernen Technologien, die Bilderfluten und künstlichen Intelligenzen irgendwie glücklicher? Nicht ein Gran, eher im Gegenteil.
Also wieder rein ins analoge Leben?
Man muss das Leben feiern, gut essen, sich mit Freunden zusammensetzen. Man muss eine gute Flasche Wein trinken oder ein kaltes Bier. Man darf auch ’ne Zigarette rauchen. Man darf und soll alles tun, was Freude macht, solange es andere nicht beschädigt. Sich selbst aber darf man schon ein bisschen beschädigen. Sterben müssen wir so oder so. Hauptsache, das Leben hat Spaß gemacht!
Ein Appell, sich auch mal danebenzubenehmen?
Ja, natürlich! Wir leben ja in Zeiten eines ausufernden, selbstgerechten Moralismus, extrem spießig und humorlos. Ich glaube, das sind Modeerscheinungen einer gelangweilten Gesellschaft, die wenig mit sich anzufangen weiß. Die denkt: Das, was Generationen vorher gedacht oder aufgebaut haben, muss ich jetzt umhauen, weil ich doch auch eine Bedeutung haben und einen Unterschied machen will in der Welt. Und so entstehen lauter Dinge, die keine Sau braucht, nur damit der abgefütterte, orientierungslose Mensch seine Existenz rechtfertigt und sich irgendwie fühlt. Aber das wird so schnell wieder verschwinden, wie es gekommen ist und unter dem Gewicht seiner eigenen Absurdität und dem Ansturm härterer Zeiten zusammenbrechen.
Ein Glück, dass Sie Ihren Raum in Italien haben, um das alles mit Gelassenheit zu sehen. Wie wird Weihnachten in Kampanien?
Herrlich: Wir haben italienische und deutsche Freunde eingeladen. Weil die vielen Wildschweine hier nerven und ich einen Jäger kenne, gibt es Wildschweinbraten. Ich werde Spätzle schaben und Rotkohl zubereiten. Es wird ein Fest!
Mit Hausmusik?
Unbedingt! In der Nähe lebt ein guter Freund von mir, ein großartiger Jazzakkordeonist. Wir haben ein Duo gegründet, nennen uns „I Due Biondi“, die zwei Blonden, und spielen Tarantellas und italienische Schmachtfetzen aus den Dreißigern, Vierzigern und Fünfzigern. Das wird meine Zukunft sein, die Absicherung fürs Alter: Quetschkommodist im Mezzogiorno.
Konzert
3. Dezember, Isarphilharmonie; Tickets bei München Ticket.