PREMIERE

Geister der Vergangenheit

von Redaktion

Felicitas Brucker inszenierte Ibsens „Baumeister Solness“ an den Kammerspielen

Er muss durchs Fegefeuer – und sie findet endlich Worte für ihr Leid: Thomas Schmauser als Baumeister Solness und Katharina Bach, die dessen Ehefrau Aline spielt. © Gabriela Neeb

Die Abschiedsrede hält er zu Beginn. Seine Bezugspunkte darin sind Proust und Rimbaud – darunter macht es Solness nicht. Doch der Baumeister stellt auch klar: „Die wichtigste Begegnung im Leben ist die Begegnung mit sich selbst.“ Ein geradezu prophetischer Satz des Kotzbrockens, der sich als zu geil für diese Welt hält – und der tatsächlich selbige 90 Minuten später verlassen wird.

Felicitas Brucker hat Henrik Ibsens „Baumeister Solness“ (1892 uraufgeführt) an den Münchner Kammerspielen inszeniert; am Freitag war die herzlich beklatschte Premiere. Es ist nach „Nora“ ihre zweite Beschäftigung mit dem norwegischen Dramatiker (1828-1906) am Haus – und erneut hat sie die Vorlage mit gegenwärtigen Texten angereichert.

Die Regisseurin schickt Solness, der sich für den hellsten Stern am Firmament hält und nichts mehr fürchtet als Ideen und Kraft der Jugend, durch sein persönliches Purgatorium: Seine Hölle ist er selbst. Katalysator für die Begegnung mit den Geistern der Vergangenheit ist die 22 Jahre alte Hilde, die der Baumeister zehn Jahre zuvor missbraucht hat (was in der Vorlage so explizit nicht erwähnt wird). Die junge Frau kommt nun, um jenes „Königreich“ einzufordern, das Solness der Zwölfjährigen seinerzeit versprach. Die Erinnerung an das Verbrechen von einst spült nun ebenso über die Titelfigur hinweg wie jene an den Brand im Haus der Schwiegermutter. Das Inferno tötete damals seine Söhne – und machte zugleich den Weg frei für seinen beruflichen Aufstieg.

In vielen Farben des Feuers leuchtet die Kulisse von Viva Schudt im Schauspielhaus, die auf die Drehbühne zudem einige Haus- und ArchitekturElemente gebaut hat. Die Live-Videos von Lion Bischof zeigen Zerrissenheit, Zerr- und Wunschbilder der Charaktere im Großformat. Allein optisch schreit hier also alles nach Schuld und Sühne – und das ist auch das Problem des Abends. Denn die Inszenierung konzentriert sich zu sehr darauf, auszustellen und anzuklagen. Brucker lässt jeden Satz mit Ausrufezeichen spielen. Doch all die Verdeutlichung schlägt irgendwann in ihr Gegenteil um – ein differenzierter Blick auf Ibsens Menschen, ihre Taten, Fehler und Schicksalsschläge ist da kaum mehr möglich.

Offensichtlich wird dies auch an den Texten der 1983 geborenen Autorin Gerhild Steinbuch. Sie eröffnet Einblicke in Seele und Gedanken etwa von Solness’ Frau Aline oder lässt deren Kinder den Todeskampf schildern. Mag sein, dass auch hier manches allzu ausbuchstabiert ist, was im Drama längst steht. Tatsächlich können Vorlage und Erweiterung aber nur wirken, wenn die Regie den Sätzen auch Raum dazu gibt. Der fehlt jedoch häufig. Die Produktion läuft dann hochtourig ins Leere.

Das ist bedauerlich, da Brucker ein Ensemble hat, das tolle Textarbeit leistet. Allen voran Thomas Schmauser, der sprachlich und darstellerisch seinen Solness zwischen Hybris und Heidenangst changieren lässt. Von ihm hätte man ebenso gerne mehr über seine Figur erfahren wie von Katharina Bach, der es dennoch gelingt, eindrucksvoll von Aline Solness’ Leid zu erzählen.
MICHAEL SCHLEICHER

Nächste Vorstellungen

am 29. November sowie
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