Auf roten Sohlen

von Redaktion

Krzysztof Urbanski beim Akademiekonzert im Münchner Nationaltheater

Ohne Zweifel zählt Antonín Dvorák zu den meistgespielten Komponisten im Kanon westlicher Kunstmusik. Großen Anteil daran hat das Konzert für Violoncello in h-Moll, eine Art Bibel der klassisch-romantischen Cello-Literatur, die jeder Instrumentalsolist im Repertoire hat. Einen Interpretationsvergleich konnten fleißige Konzertgänger aus München in den vergangenen Tagen anstellen: Raphaela Gromes hatte das Stück am Wochenende mit dem Nationalen Sinfonieorchester der Ukraine intoniert; am Montagabend stimmte Emanuel Graf das Werk im Akademiekonzert des Bayerischen Staatsorchesters an. Während Gromes im kleineren Prinzregententheater eine intim-gefühlvolle Interpretation anbot, trumpfte Graf im Nationaltheater vor großer Kulisse auf. Ohne essentialisieren zu wollen, ist sein Spiel viriler und geht hochvirtuos bis zur rauen Körnung des Klangs, büßt aber in puncto emotionaler Deutung etwas ein. Dass dies eine interpretatorische Entscheidung ist, beweist Graf in seiner gefühlvollen Zugabe: dem luftig-zarten „Lied der Vögel“, einem katalonischen Weihnachtslied, das der Solist gemeinsam mit seinen Kollegen von der Cello-Gruppe des Staatsorchesters als Friedensbotschaft anstimmte – und damit Gromes’ solidarischen Schulterschluss mit der Ukraine bekräftigte.

Zum Auftritt des Bayerischen Staatsorchesters wurde bis hierher noch nichts geschrieben – weil sich der Klangkörper bei Antonín Dvoráks Cellokonzert ganz in den Dienst seines Solocellisten stellte. Umso mehr konnten sich die Orchestermusiker und -musikerinnen nach der Pause exponieren: Mit Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“, das 1913 die musikalische Moderne mit einem lautstarken Skandal eröffnete; 111 Jahre später hat das Stück nichts von seiner „unerhört“ aufrüttelnden Intensität eingebüßt. Nach der melancholischen Fagott-Weise zu Beginn entfaltet sich eine ungeheure Klangwucht, wobei die Streicher in unison-repetitiven Abstrichen den Perkussionsapparat ergänzen, die Blechbläser in scharf-dröhnenden Ausbrüchen und der gesamte Orchesterapparat in dissonanten Klangflächen Archaik und Avantgarde verschmelzen.

Die entfesselnde Wirkung dieser Interpretation ist allen voran Krzysztof Urbanski zu danken, ein echter Kommunikator, der zu jeder Sekunde weiß, wo die Musik spielt. Ebenso gutgelaunt wie akkurat weist er seinem Klangkörper den Weg durch die Partitur, während er selbst, das Ballett in dieser konzertanten Version des „Frühlingsopfers“ ersetzend, auf roten Schuhsolen auf dem Dirigentenpodest tänzelt.
ANNA SCHÜRMER

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