AUSSTELLUNG

Die Aufklärung verteidigen

von Redaktion

Deutsches Historisches Museum Berlin widmet sich der Vernunft

Die Vernunft im Blick: Die Berliner Schau stellt Fragen ans 18. Jahrhundert. © DHM

„Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Das schreibt 1784 Immanuel Kant zum Thema Aufklärung. Heute ließe sich flapsig erwidern: An Verstand mangele es leider so vielen auf der Welt, doch sei zu wünschen, dass gerade jenen es an Mut fehle.

In dieser weltpolitisch gerade so beunruhigenden Gegenwart zeigt das Deutsche Historische Museum Berlin seine Ausstellung im richtigen Moment. „Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert.“ Die groß angelegte Schau im ersten und zweiten Obergeschoss des Pei-Baus erzählt bis zum 6. April 2025 auf eindrucksvolle Weise von der Befreiung der Menschen aus ihrer, wie Kant es formuliert, „selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Natürlich betrifft es zuallererst die gebildete bürgerliche Klasse sowie auch jene Protagonisten der deutschen Fürstenhäuser wie Weimar oder Preußen, wenn auch die großen Töne, die sie spucken, vielfach nur Theorie bleiben.

Preußens Friedrich II., der Freund Voltaires, ist berühmt für den Satz, in seinem Reich könne ein jeder nach seiner Façon selig werden. Einer Überprüfung hält dieser Anspruch, was die jüdische Bevölkerung betrifft, nicht stand. So konfrontiert die Ausstellung ihre Besucher mit den Widersprüchen jener Zeit, die in ihrem geistigen Glanz, in ihrem Denken, Forschen, Philosophieren, in ihrem Willen zu Selbstbestimmung und Individualismus, zu Toleranz und Redefreiheit uns bis heute kostbar ist. Daneben zeigt sie aber ebenso, was vor über 200 Jahren dem neuen Lebensgefühl entgegensteht. Zu sehen ist eine ehemals als Warnung aufgestellte Tafel, die „Zigeuner, Gauner und Landstreicher“ als „vogelfrei“ benennt und in drastischer Darstellung mit Galgen, Auspeitschen und Rädern droht. Bemalte und beschriftete Schilder dieser Art waren im 18. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich an Grenzen, Pässen und Straßen angebracht.

Dennoch: Es lässt sich nur staunen über den Reichtum an Genie. Im Eingangsbereich befindet sich eine groß aufgezogene Illustration, ein „Allegorisches Blatt“ mit Titel „Aufklärung“ von Daniel Chodowiecki: in freier, romantisierter Natur ein Landweg, darauf unterwegs eine Pferdekutsche und ein Reiter, darüber sonnendurchbrochene Wolken. Alles wird sein hell, klar und mild. Das französische Pendant dazu von Louis Croutelle gibt sich kirchenkritisch, also politisch: „Er löst von den Augen der Völker die Bande des Irrtums.“ Noch im Entree der Schau begrüßt die Gäste eine Armada von Gips-Porträt-Büsten: die Genies des 18. Jahrhunderts. Nur zwei Frauen darunter, deren Geschlechtsgenossinnen für den Aufbruch in die individuelle Freiheit einen noch viel, viel weiteren Weg vor sich haben.

In 14 Themenkomplexe ist die Schau aufgeteilt. Viel Raum nimmt dabei die Wissenschaft ein und mit ihr die Technik. Experimente in allen Bereichen. Forschung wird populär, geht auf die Marktplätze, Schausteller und Gelehrte nehmen sich ihrer an, ebenso die Salons und Akademien, die Wunderkammern der Fürsten. Herrliche historische Exponate.

Zu sehen sind sowohl eine Große Scheiben-Elektrisiermaschine aus dem Besitz Goethes wie auch „Der elektrische Kuss“: Wer die Venus electrificata küsst, sprüht Funken. Und welche Rolle spielt Gott in dieser neuen, vernunftgeleiteten Welt? Das Erdbeben von Lissabon 1755 lässt die Zweifel an seiner Allmacht wachsen.

Um die bürgerlichen Rechte wird gekämpft. In Frankreich werden Juden 1791 gleichberechtigte Bürger, in Preußen erst 1812. Natürlich spielt die Kultur eine prägende Rolle. Dazu gehört die Pädagogik mit der Herausgabe von Kinder- und Jugendbüchern im Sinne der Aufklärung; dazu gehören die neuen Romane wie Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, erster Band; dazu gehört das Theater, kurz, eine neue bürgerliche Öffentlichkeit mit ihren Lesezirkeln und Teegesellschaften. Eine großartige, aufklärerische Ausstellung, die der Kuratorin Liliane Weissberg mit ihrem Team hier gelungen ist.

Die Geschichte hat längst gezeigt, dass die Aufklärung immer wieder auch brüchig und gefährdet ist; dass sie ständig verteidigt werden muss. Zum Glück ist in dieser Schau aber auch Platz für Komik: nicht ganz ernst gemeint, dafür halb ironisch unterrichtet eine große Tabellentafel über die Charakterzüge und menschlichen Eigenschaften in den unterschiedlichen europäischen Nationen. Den Deutschen wird attestiert, dass sie überall dabei seien, dass sie alles nachmachten und vieles mehr. Was sie aber lieben – das sei der Trunk. Anders die Franzosen: die lieben den Krieg. Die Engländer die Wollust. Die Italiener das Gold. Die Russen den Prügel.
SABINE DULTZ

Bis 6. April 2025,

Montag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Deutsches Historisches Museum/Pei-Bau., Berlin, Unter den Linden 2. Katalog: Hirmer Verlag, 30 Euro (Museumspreis) oder 39,90 Euro im Buchhandel.

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