Der ehrgeizige junge Mann

von Redaktion

Heinrich Breloer hat einen dokumentarischen Roman über Thomas Manns Anfänge verfasst

Repräsentativer Schriftsteller: Thomas Mann und seine Frau Katja (Mi.) im Kreise ihrer Familie. © MM-Archiv

Die erste Auflage der „Buddenbrooks“ (1901) in zwei Bänden betrug nur 1000 Stück und verkaufte sich anfangs ziemlich schleppend. Doch die folgenden Auflagen in einem Band wurden allmählich zum Selbstläufer, der seinem Autor schließlich im Jahr 1929 den Literaturnobelpreis einbrachte. Bei dem vorzüglichen neuen Doku-Roman über die Heirat Thomas Manns von Heinrich Breloer, „Ein tadelloses Glück. Der junge Thomas Mann und der Preis des Erfolges“, dürfte sich dagegen schon die erste Auflage weit schneller an den erwartungsvollen Leser bringen lassen; und eine Auszeichnung wäre das Buch schon wert. Denn dieser attraktive biografische Liebesroman bildet sozusagen die „Pralinenschachtel“ für enormes Sachwissen. Dabei liest er sich angenehm leicht, mit kurzen Kapiteln, ist gut gelungen und geschliffen formuliert.

Rechtzeitig zu Thomas Manns (1875 – 1955) 150. Geburtstag im kommenden Jahr erscheint schon heuer Breloers Mischung aus fiktiven Szenen, Original-Werkauszügen, Tagebuch- und Briefausschnitten über Manns frühe Münchner Jahre. Darin stecken viel Arbeit und Sachkompetenz: Der gelernte Literaturwissenschaftler Breloer, der bereits mit seinen beiden Fernsehfilmen „Die Manns“ (2001) und „Die Buddenbrooks“ (2008) zwei viel beachtete Erfolge einheimste, kennt sich mit Thomas Mann blendend aus und hat von seinen früheren Arbeiten für das neue Werk profitiert.

In schnellen Schritten berichtet er vom frühen Tod des Vaters, der Übersiedlung der Mann-Familie von Lübeck nach München und von Tommys Erhalt des „Einjährigen“ (also: der Mittleren Reife) mit mäßigen Noten – er war bis zum Ende seiner Schulzeit allein in der Heimatstadt zurückgeblieben – und seiner Ankunft in München. Danach erzählt er von seiner Vollendung der „Buddenbrooks“ und seiner Aufnahme in Elsa Bernsteins literarischen Salon. Erst hier zeichnet er das zunächst erfolglose, aber hartnäckigen Werben Tommys um die junge Katia Pringsheim in München nach, deren Kaulbach-Porträt er schon als Schüler in Postkartengröße über seinen Schreibtisch gehängt hatte, ohne zu wissen, um wen es sich dabei handelte. Kaulbachs Kinderbild zeigte Katia und ihre vier Brüder in Pierrot-Kostümen.

Um einen engeren Kontakt mit den Pringsheims zu knüpfen, besucht Mann Katias Zwillingsbruder Klaus in dessen eigener Schwabinger Wohnung an der Konradstraße. Sein Eindruck von dem gemeinsamen musikalischen Wagner-Nachmittag ist äußerst positiv: „Kein Gedanke an Judentum kommt auf, diesen Leuten gegenüber. Man spürt nichts als Kultur. Wir schwatzten allerlei über Kunst, seine Musik, seine Schwester.“ Der Kursivdruck kennzeichnet den zitierten Antisemitismus als Originalstelle von Thomas Mann, nicht etwa von Breloer.

Um seine eigene Neigung zu jungen Männern zu verbergen, fühlt sich Thomas Mann zu einer Eheschließung genötigt. Die junge Katia hat es ihm angetan, doch Katia mag ihn nicht. „Was ich ihr biete, ist mehr als ihr sonst noch begegnen wird“, sagt Tommy, „der Pfau“, zu seinem Freund, dem Tiermaler Paul Ehrenberg. „Frau Thomas Mann ist doch allerhand …“ Den zweiten Teil des Satzes spricht er nicht aus. Er hatte aber gemeint: „… für so ein Judenmädchen!“ Und sein Freund Paul ahnt diesen unsichtbar in der Luft schwebenden Nachsatz, weil er es selber so erlebt hat.

Die Szene markiert einen Einschnitt in die Beziehung der beiden Freunde. Und hier ist es Breloer, der dem jungen Thomas Mann einen latenten Antisemitismus zuschreibt. Dass er sich nur aufgrund seiner Geburt mit seiner gerade mal so erreichten Mittleren Reife seinem jüdischen Freund mit akademischer Malerausbildung und seiner zukünftigen jüdischen Ehefrau überlegen fühlt, obwohl sie Abitur hat und als eine der ersten Studentinnen an der Münchner Universität Physik studiert, ist ein Punkt, der förmlich nach einem Dazulernen der Figur schreit. Den Gedanken der Gleichwertigkeit der Partner in einer Ehe hat Thomas Mann ja in „Königliche Hoheit“ (1909) verarbeitet. Das Buch endet sehr zum Leidwesen des Lesers bereits mit der Entstehung von „Tod in Venedig“ im Jahre 1911. Es könnte also zum Thomas Mann Jahr ruhig noch ein zweiter und dritter Teil dazukommen; Stoff dafür bietet das Leben der historischen Figur ja wahrhaft genug.
HILDEGARD LORENZ

Heinrich Breloer:

„Ein tadelloses Glück. Der junge Thomas Mann und der Preis des Erfolges“, DVA, 462 Seiten;
26 Euro.

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