„Heiligabend mit meiner Familie? Das können’s mir nicht antun.“ Das gesamte Ensemble ist sichtlich begeistert bei der Sache – auch wenn die Geschichte etwas sinnbefreit ist. © Alvise Predieri
Gerichts- oder Justizdramen gibt es schon seit den Fastnachtsspielen der Barockzeit. Später kamen Kinofilme und Fernsehserien dazu. Immer mit gut zugespitzten, schlagfertigen Dialogen. Immer spielten die Autoren und Regisseure mit der gefährlichen Lächerlichkeit des Justizapparates, dem sanften Grusel des Erwischtwerdens und der drohenden Strafe des Sünders. Immer ging das Publikum begeistert mit. Die Erfolgsgeschichte der TV-Serie „Königlich Bayerisches Amtsgericht“, die das ZDF erstmals 1969 bis 1972 ausstrahlte und die rasch Kultstatus erreichte, fügte sich da nahtlos ein. Sieht man sich die Folgen heute an, irritiert die zu nostalgische Verklärung der Vergangenheit schon ein wenig, die der königstreue Autor Gerd Lohmeier beschwor.
Eine unübersehbare Reminiszenz an diese angeblich so gute alte Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, unter der Regentschaft des Prinzregenten Luitpold, findet sich in René Heinersdorffs Schwank „Stille Nacht im Amtsgericht“, sobald sich der Vorhang der Komödie im Bayerischen Hof öffnet: Da hängt nämlich ein riesengroßes Porträt des seligen Regenten an der Bühnenwand. Mit deutlich erkennbarer Ähnlichkeit zum aktuellen Landesoberhaupt, das sich zur „Fastnacht in Franken“ bekanntlich früher auch einmal als Luitpold verkleidet hatte.
Akkurat ist hier nichts. Moderne und Historie vermischen sich andauernd in dieser „königlich bayerischen Gaudi“, als „das Bier noch dunkel war und 18 Prozent Stammwürze besaß“, wie der an die Fernsehserie erinnernde Vorspann verkündet. Gleichzeitig werden aber Gender-Witzchen gerissen, modische Kroko-Handtaschen über die Bühne getragen, die Songs der Spider Murphy Gang zitiert oder auf dem Dachboden Hanfpflanzen gezüchtet. Blödsinn? Selbstverständlich! Aber lustig.
Viel Sinn birgt die Geschichte schon in der Kurzfassung nicht: Am 24. Dezember will der pensionierte Amtsrichter Aschauer (Norbert Heckner) noch rasch eine Verhandlung führen, da dieser Fall einer „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ sonst verjähren würde und der Täter ungestraft davonkommen könnte. Bei dem handelt es sich um den kleinkarierten Sparkassen-Filialleiter Benno Lugmeyer (Andi Löscher), der auf offener Straße die Hosen herunterließ. Angezeigt hat den Mann seine eigene Gattin Annemie Lugmeyer (Kristina Kufner), und schon ist man mittendrin in dieser Dorfposse, in der vom Hausmeister im Gerichtsgebäude (Hans Stadlbauer) über sämtliche Zeugen bis zum schwäbelnden Staatsanwalt (Thomas Stegherr) alle miteinander verwandt, verschwägert oder zumindest ineinander verliebt sind.
Regisseurin Stephanie Schimmer hat das wilde Spektakel mit viel Tempo und Herz inszeniert, und das ganze Ensemble spielt sichtbar begeistert mit. Nahezu jede Minute legen die Schauspieler noch eine Schippe drauf, dies mit bewundernswerter Präzision und Frische. In einer der schönsten Szenen bewegen sich dann alle von Haschplätzchen benebelt in Zeitlupe, während vorne an der Bühne Bettina Redlich als „Hausdame“ Erni Habermas „Stille Nacht“ singt – und allmählich jeder einfällt, auf der Bühne und im Zuschauerraum.
Natürlich sind manche Zeilen erwartbar platt: „Heiligabend mit meiner Familie? Das können’s mir wirklich nicht antun, Herr Richter!“ Aber insgesamt passen die Gagdichte und –trefferquote und die hübsch durchchoreografierten Slapstick-Einlagen ebenfalls. Am Ende, nach einem überstandenen Schneesturm inklusive Stromausfall, hat der uneheliche Sohn (Stephan Leitmeier) dank des Leberflecks in Form des Chiemsees einen Vater gefunden. Sämtliche Dorfbewohner sind als Schwarzbrenner, Drogendealer, Spielhöllenbesitzer, Prostituierte, Bordellbesitzer und Steuerhinterzieher geoutet worden – und keinen stört’s. Ist schließlich Weihnachten. Und während des frenetischen Schlussapplauses bekommt Richter Aschauer sogar endlich sein Glas Wasser.
ULRIKE FRICK
Vorstellungen
bis 12. Januar 2025, Termine und Vorverkauf unter komoedie-muenchen.de.