Der Enttarner

von Redaktion

Der tiefsinnige, erhellende Sprachkünstler Botho Strauß wird heute 80 Jahre alt

„Auf der Bühne habe ich ein Erotiker sein wollen“: der Schriftsteller Botho Strauß. © Ruth Walz

Er hat so viele Stücke geschrieben, beinahe jedes wurde künstlerisch höchst erfolgreich aufgeführt an großen und kleinen und nicht nur an deutschsprachigen Theatern. Wenn aber Botho Strauß an diesem 2. Dezember seinen 80. Geburtstag feiert, dann ist vor allem ein Titel von ihm immer noch im Gespräch: „Anschwellender Bocksgesang“. Kein Bühnentext, aber irgendwie doch ein Drama, so viel Rumor hat er hervorgerufen, so viel Verleugnung der inhaltlichen Redlichkeit des berühmten Verfassers.

Im Februar 1993 veröffentlichte der 49-jährige Schriftsteller im „Spiegel“ seinen damals skandalerregenden Essay. Spätestens seitdem ist Botho Strauß als rechtskonservativ abgestempelt. Dabei handelt es sich hier um seinen Anspruch, eine Bestandsaufnahme vom geistigen und politischen Zustand Deutschlands vorzulegen. Damit verbunden enthält dieser Essay auch Strauß’ weltanschaulich begründeten Bruch mit den Geistesprotagonisten der Achtundsechziger, den berühmten, politisch tonangebenden Linksintellektuellen und Künstlern, deren Kombattant er nicht sein wollte.

Die Empörung vor 30 Jahren war groß, die Journalisten schrien am lautesten, sie alle fühlten sich getroffen, natürlich schlugen sie zurück. Heute staunt man darüber. Nimmt man sich den Strauß-Essay noch einmal vor, ist man überrascht, dass er damals so ein Aufreger war. Gleichsam beeindruckend ist seine geradezu prophetische Voraussicht. Strauß sieht bereits das Lebensmodell unserer freien Gesellschaft gefährdet – durch Außenstehende, die unsere Art zu leben als Hölle ansähen. Es fehle, so schreibt er, in „unserer liberal-libertären Selbstbezogenheit“ die Bereitschaft zu Moral und Sitte, denn das werde von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert. Im Gegensatz dazu sieht er die Sittengesetze anderer Völker, wozu „Blutopfer“ gehörten und der Kampf für die eigene Sprache, wie es sie in „den fernen osteuropäischen und mittelasiatischen Neu-Staaten“ gibt. Strauß’ Weissagung 1993: Es werde Krieg geben zwischen den „Kräften des Hergebrachten und denen des ständigen Fortbringens, Abservierens und Auslöschens“.

Er geht auch mit den vor drei Jahrzehnten aktuellen Liberalen ins Gericht: „Ein sich immer liberaler rüstender Gegner des Antiliberalismus: Er gilt für liberal, er hat sich als solcher Geltung verschafft, er ist – in seinem öffentlichen Amt – geltungssüchtig und wird folglich immer rücksichtsloser liberal.“

All diese wahrgenommenen Existenzen der Wirklichkeit, die dialektisch aufgespießte Enttarnung jener, die sich wichtigmachen in ihrem umgehängten Mäntelchen der Toleranz und dem Cape der Würde, schickt Strauß auf den Laufsteg des Lebens, also auf die Bühne des Theaters.

Meist sind es hervorragende Komödien, tiefsinnig, voller, Trauer, Komik und Ironie, mit erhellendem Sprachwitz, fabelhaften Dialogen und der Meisterschaft in der Verortung seiner erzählten Geschichten im Hier und Heute. Und immer sind sie indirekt, manchmal auch direkt verbunden mit dem Mythos der antiken Welt oder dem Shakespeares.

In München hatten wir das Glück, die meisten seiner Stücke sehen zu können. Das begann 1975 mit „Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ im Residenztheater, ab 1978 kamen dann an den Kammerspielen die bedeutsamen, leichthändigen Strauß-Inszenierungen von Dieter Dorn heraus. Erinnert sei an „Groß und klein“, 1979; Cornelia Froboess spielte sich als Lotte unauslöschbar ins Gedächtnis des Publikums. Es folgte 1983 „Kalldewey, Farce“ mit Daphne Wagner, Ulrike Willenbacher und Sunnyi Melles; neben diesen schrillen Grazien behaupteten sich ganz auf der komödiantischen Höhe jener Superweiber Axel Milberg und Edgar Selge. 175 Vorstellungen im Werkraum!

Zurück ins große, ins Schauspielhaus. Da hatten Premiere die „Sommernachtstraum“-Adaption „Der Park“, das widersprüchliche Schauspieler-Porträt einer einstigen Berühmtheit, „Besucher“, das ultimative Stück zur Wende, „Schlusschor“, und schließlich „Ithaka“ mit Gisela Stein und Bruno Ganz. Weiter ging es mit Dorns Strauß-Inszenierungen am Residenztheater: 2001 „Der Narr und seine Frau heute Abend in Pancomedia“, 2005 „Die eine und die andere“ sowie 2009 „Leichtes Spiel. Neun Personen einer Frau“. Das war’s. Gegenwärtig fehlt der Dichter weitgehend auf den deutschen Spielplänen. Vermisst werden seine intellektuelle Brillanz, seine immer zum Widerspruch herausfordernden, kaleidoskopartigen Geschichten – zum Lachen, Denken, Rätseln, Mitfühlen, auch zum Sich-Wiedererkennen.

„Es ist einfach vorbei“, sagte Botho Strauß bereits vor 17 Jahren in der „Zeit“. „Auf der Bühne habe ich ein Erotiker sein wollen, heute jedoch dominieren am Theater ästhetisch oder buchstäblich die Pornografen.“ In seinem kürzlich erschienenen Roman „Das Schattengetuschel“ lässt er seiner ungestillten Sehnsucht nach dem Theater freien Lauf.

Im großzügigen Anwesen in der ländlichen Uckermark pflegt er, der Vater des Journalisten und Schriftstellers Simon Strauß, sein lebenslang geübtes Eremitendasein. 1944 in Naumburg geboren, aufgewachsen in Bad Ems, studiert in Köln und München, fünf Jahre Dramaturg an der Berliner Schaubühne, verdient er sich seit 1975 als freischaffender Schriftsteller sein Geld. Botho Strauß im „Zeit“-Interview: „Ich bin ein nicht ausübender Gesellschaftsmensch. Die Arbeit des Schreibens ist ein Akt der vollkommenen Exkludierung. Ich bin kein Event.“
SABINE DULTZ

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