Höhere Töchter, von Hormonstau geplagt – eine leichte Beute für die Piraten. © ANNA SCHNAUSS
Männerfasching plus Augenzwinkern: Daniel Gutmann darf als Piratenkönig seine Ergebnisse aus der Mucki-Bude ausleben. © ANNA SCHNAUSS
Siegfried und Tamino heißen seine entfernten Geistesverwandten, und zusammen mit ihnen hat Frederic ein Problem: Was tun, wenn erstmals eine Frau den Lebensweg kreuzt? Zumindest eine aus der Twen-Kategorie, weniger aus dem klimakterischen Alter wie Ruth, die ihn bis dato begleitete. Zwei Stunden, 15 Minuten später ist das erwartbare Happy End da, doch das spielt in diesem Opus eine eher untergeordnete Rolle.
Piraten, „frei und Single“, die Waisen verschonen und sich als Ehrenmänner verstehen, ein hochtourig plappernder Generalmajor, höhere Töchter unter Hormonstau, eine überforderte Polizeitruppe: Wer „Die Piraten von Penzance“ konsumiert, weiß, wo Monty Python und andere Durchknall-Briten herkommen. William Schwenck Gilbert und Arthur Sullivan, das in herzlicher Abneigung und finanzieller Abhängigkeit verbundene Operettenduo, brachte 1879 das angelsächsische Pendant zur „Fledermaus“ heraus. Die Satire auf Oper und Gesellschaft erreicht(e) astronomische Aufführungszahlen und gehört unbedingt an ein Haus wie Münchens Volksoper.
Am Gärtnerplatz vertraut man bei der aktuellen Premiere ebenfalls auf ein Brit-Duo. Adam Cooper, Tänzer und nun regieführender Choreograf, hat den siebten Sinn für die „Comic Opera“, ebenso Ex-Chefdirigent Anthony Bramall. Aus dem Graben tönt es also trocken, zugespitzt, mit Zug und wohltuend melancholiebefreit. Und wenn das Orchester anhebt zur großen Dramatik, die sich Gilbert & Sullivan unter anderem aus Verdis „Troubadour“ oder Webers „Freischütz“ klauten, ist das Augenzwinkern mitzuhören.
Auch auf der Bühne ein ständiges Als-ob. Zur Ouvertüre tobt eine Seeschlacht mit Schiffsmodellen. Die prachtvollen Kulissen von Karl Fehringer und Judith Leikauf wackeln oder geben Gerüste frei, oft latscht das Backstage-Personal durchs Bild. Einmal hält ein Bühnenarbeiter das Lampion-Mobile fürs Liebesduett mit Mabel und Frederic – und in der anderen Hand ein Taschentuch für den plötzlichen Tränenerguss. Aktualisierung passt bei den „Piraten“ nicht, also wird Männerfasching gefeiert. Die Kostümabteilung des Hauses (Entwürfe: Birte Wallbaum) muss heißgelaufen sein, es ist ein Augenfutterfest.
Cooper gibt sich gar keine Mühe, die Handlung zu begradigen. Vollkommen sinnfrei und zwecklos darf alles sein, kein Kaiser-, sondern ein Queen-Schmarrn – womit die Schlusspointe fast verraten wäre. Die Aufführung hat Rhythmus und Timing, auch im Einpassen der lyrischen Momente, driftet immer wieder in die Revue samt Chorus-Line. Die Kerle stoßen dauernd ein aggressives „Arrrgh“ aus der Kehle, um sich Sekunden später mit Fingerpurren zu begrüßen.
Das funktioniert nur mit entsprechenden Typen (und einem Motivator wie Cooper). Bariton Daniel Gutmann darf als Piratenkönig seine Ergebnisse aus der Mucki-Bude samt Rückwärtssalto ausleben, der kernige Don-Giovanni-Sound, gern mit geblecktem Gebiss erzeugt, ist mehr als ein i-Tüpferl. Matteo Ivan Rasic kontrastiert dazu als Piraten-Azubi Frederic, wobei er nicht nur auf Lyrikstufe stehenbleibt, sondern auch tenoral auspackt. Julia Sturzlbaum ist als Mabel pure Ausstrahlung mit vokalem Feinbesteck, Sigrid Hauser eine stückgemäß herbe Ruth und Alexander Franzen ein Generalmajor nicht nur im Plapper-Modus, sondern auch mit berührenden Momenten. Gerade Letzteres zeigt: So bizarr all diese Typen sind, so liebenswürdig bleiben sie doch und (meist) kurz vor der Karikatur. Freaks mit Herz.
Adam Cooper hätte die Sache sogar noch mehr ins Absurdistan treiben dürfen, „Die Piraten von Penzance“ vertragen das locker. Dass es den Chor bei diesen Umdrehungszahlen nicht ständig aus der Kurve trägt, ist ein kleines Koordinationswunder. Die deutsche Übersetzung meidet weitgehend das Betuliche und leistet sich kleine Verheutigungen. Für Nerds gibt’s das britische Original per Übertitel – wer hier nicht mitkam, muss einfach noch mal rein. Wenige Momente nach dem Schlusston schon Standing Ovations, auch am Gärtnerplatz ist das selten. Und zeigt: Abende wie dieser sind gerade wichtiger denn je.
MARKUS THIEL
Nächste Vorstellungen
am 3., 11., 21., 28. Dezember,
6., 19. und 25. Januar;
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