„Es geht um die Suche nach dem Wir“

von Redaktion

Max Lindemann über seine Inszenierung von „Früchte des Zorns“ am Volkstheater

Beim Gespräch im Volkstheater: Regisseur Max Lindemann und Kulturjournalistin Ulrike Frick. © Jens Hartmann

„Meine Ur-Großeltern und Großeltern haben in der Zeche oder im Stahlwerk gearbeitet.“ Auch deshalb will Regisseur Max Lindemann das Arbeitermilieu auf die Bühne bringen. © Jens Hartmann

530 Seiten umfasst John Steinbecks Roman „Früchte des Zorns“. Der US-Schriftsteller erhielt dafür nach der Veröffentlichung 1939 nicht nur den Pulitzer-Preis, sondern 1962 auch den Literaturnobelpreis. Der drastische, sozialkritische Text erzählt am Beispiel der Farmersfamilie Joad von der bitteren Not amerikanischer Wanderarbeiter während der Dreißigerjahre, von Ausbeutung und Erniedrigung und erbarmungsloser Profitgier. Max Lindemann, Jahrgang 1989, setzt Steinbecks wütende Anklage des Kapitalismus in einen opulenten Theaterabend um. Wir sprachen mit dem Regisseur vor der Premiere heute Abend im Münchner Volkstheater.

„Früchte des Zorns“ ist ein großartiger, aber ganz schön heftiger Brocken. Wer kam auf die Idee, das zu inszenieren?

Ich habe seit längerer Zeit eine Liste mit Texten, die ich gerne einmal inszenieren würde. Genau genommen arbeite ich eigentlich selten nur auf eine einzelne Inszenierung hin, sondern thematisch übergeordnet. Wobei ich mir immer Stoffe suche, bei denen es um Gemeinschaft und Zusammenhalt geht. Weil ich das Gefühl habe, dass sich gerade alles ums Individuum dreht, um die Vereinzelung und Selbstoptimierung. Davon möchte ich weg. Diese Suche vom Ich zum Wir, das zieht sich definitiv durch bei mir. Aber ich kann mir natürlich nicht jedes Projekt aussuchen. Deshalb freue ich mich, wenn wie jetzt vom Volkstheater eine Anfrage kommt, für die ich etwas mitbringen darf.

Die Aktualität des Texts ist groß. Warum wurde er bisher nur selten für die Bühne umgesetzt?

Ich glaube, das liegt neben der Struktur vor allem an der Perspektive auf unsere Zeit. Wir befanden uns lange in einer Phase des Individualismus, in der der Einzelne mehr in der Aufmerksamkeit stand als das Kollektiv. Steinbeck versucht im Gegensatz dazu, das große Ganze zu betrachten.

Von der Migration über das schwere Los der Arbeiterschaft bis zum Klimawandel steckt alles drin, was unsere Gesellschaft gerade umtreibt.

Ein Punkt, der mir wichtig war, entspringt meiner eigenen Familiengeschichte. Diese stammt aus dem Ruhrgebiet. Meine Ur-Großeltern und Großeltern haben in der Zeche oder im Stahlwerk gearbeitet. Und ich möchte neben anderen, auch dieses Milieu auf deutschen Bühnen sehen.

Läuft man nicht Gefahr, mit einer sehr expliziten Darstellung von Armut auf der Bühne schnell zum Elends-Voyeur zu werden?

In diese Falle kann man tappen. Aber entscheidet man sich pikiert dagegen, einen solchen Stoff überhaupt anzufassen, macht’s am Ende keiner, und das Thema kommt einfach überhaupt nicht vor. Generell sehe ich es erst einmal nicht als einen verwerflichen Vorgang, Menschen zu zeigen, die unter etwas leiden.

Die Joads machen sich auf den Weg von Oklahoma nach Kalifornien. Wie realistisch oder abstrakt stellen Sie diese Reise von einem Elend ins nächste auf der Bühne dar?

Wir verorten das ziemlich konkret in der Zeit der Dreißigerjahre. Bühnenbildnerin Marlene Lockemann hat wahnsinnig tolle Elemente geschaffen. Es gibt beispielsweise ein vertrocknetes Maisfeld, das aus dem Boden hochgefahren wird. Aus dem Himmel kommt ein Zelt, aus dem dann ein Fluss entsteht. Es ist wirklich eine ganze Welt, die vor den Augen der Zuschauenden hergestellt wird. Nichts wird kaschiert, alles findet offen statt. Wir nennen das „hergestellter Realismus“.

Klingt nach einer intensiven Planung im Vorfeld. Bleibt da noch Raum für Spontaneität während der Proben?

Ich bin immer offen für Vorschläge. Auch da steht für mich die Gemeinschaftsbildung im Vordergrund. Es geht mir nicht darum, meine individuelle Idee durchzudrücken. Wir füllen einen zuvor erstellten, groben Rahmen gemeinsam aus. Das ist ein offener Prozess, der manchmal auch viele Diskussionen mit sich bringt und anstrengend ist. Aber so ist das nun einmal mit der Demokratie.

Premiere

ist heute, 19.30 Uhr;
Telefon 089/523 46 55.

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