Remmidemmi mit Tiefsinn

von Redaktion

Deichkind verwandeln die Münchner Olympiahalle in ein Tollhaus

Meister der Maskerade: Deichkind. © Martin Hangen

Kinder in meinem Alter: Die Elektro-Hip-Hopper aus Hamburg haben die Massen in der Olympiahalle im Griff. © Martin Hangen

Das riesige Fass ist der Star des Abends. „Roll das Fass rein“, rappen Deichkind und bahnen sich auf selbigem den Weg durch die Menschenmassen in der Arena der Olympiahalle. Zwanzig Songs und eine Menge Höhepunkte liegen da schon hinter Band und Publikum. Es wurde mit dem Beat genickt („Bon Voyage“), ironisch über den Unterschied von Meinung und Fakt philosophiert („Wer sagt denn das?“) und abschließend festgestellt, dass „Arbeit nervt“. Alles schön verpackt in eine stylische Show, bei der man dank geschickter Kostümierung oft nicht weiß, welches der drei, respektive vier, respektive sieben oder auch siebzehn Deichkinder gerade auf der Bühne steht.

Deichkind erwecken gern und mit voller Absicht den Eindruck einer charmant prolligen Partyband. Hip-Hop mit Elektroeinflüssen für die Spaßgesellschaft. Die Outfits, die Bühnenshow, Bässe und Tetraeder-Hüte, „Krawall und Remmidemmi“. Man muss schon das Mitnicken einstellen und zwischen den Zeilen lesen, um die Tiefgründigkeit mancher Texte zu verstehen, die sich oft um den Zustand der Welt drehen. Und im richtigen Moment genau hinschauen.

Zum Beispiel, wenn die aktuellen Bandmitglieder Philipp „Kryptik Joe“ Grütering, Sebastian „Porky“ Dürre und Live-Mitglied David „Roger Rekless“ Mayonga – einziger Münchner unter den Nordlichtern – mit ihrer Crew zu „Bück dich hoch“ auf sieben Bürostühlen über die Bühne rollen. Auf deren Rückenlehnen je ein einzelner großer, weißer Buchstabe steht. Aus denen sich für einen kurzen Moment „Fuck AfD“ bilden lässt. Noch deutlicher zeigen die Hamburger ihre Haltung nur auf den Getränkebechern, auf die sie „Kein Bier für Nazis“ haben drucken lassen.

Die Lieder von Deichkind verschwinden leicht hinter der Show von Deichkind, was beinahe schade ist. Es ist aber auch zu verführerisch, sich in den Sog der Liveauftritte ziehen zu lassen. Deren Schöpfer Henning „La Perla“ Besser überlässt nichts dem Zufall. Was stellenweise anmutet wie halbernstes Männerballett, folgt einer Logik, einer Ästhetik. Ganz gleich ob Songtexte auf Jogginganzüge gedruckt werden oder die sich autonom über die Bühne bewegende Deko, die Bandmitglieder und das Fass in Farbgesprenkel wie von Jackson Pollock gehüllt sind. Das allein sollte man einmal gesehen haben, und das möglichst schnell. Angeblich ist die „Kids in meinem Alter“-Tour die vorerst letzte große Hallentournee von Deichkind. Sagen zumindest Deichkind.

Auf Abschied stehen die Zeichen am Dienstag noch lange nicht: „Könnt Ihr noch?“: Das ist sowohl Titel des neuen Songs als auch eine Frage ans Publikum, das von „Hände in die Luft“ bis „Hüpft mit uns“ jede Anweisung zur Zufriedenheit der Band erfüllt. Ob man Deichkind nun als Partytruppe oder als tiefgründige Texter wahrnehmen möchte, spielt nur eine untergeordnete Rolle, sobald zum Finale „Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)“ ertönt und die Halle zum Tollhaus wird.
KATHRIN BRACK

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