Der Herr der Bücher

von Redaktion

Lothar Schirmer blickt auf 50 Jahre Verlagsgeschichte zurück

„Bienenkönigin I“ von Beuys, hier in einer Zeichnung von Lara Kaiser. © Lara Kaiser

Schirmer bringt Kino zwischen zwei Buchdeckel – etwa Werke von Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla. © Eisenstaedt

Der Verleger und Isabella Rossellini 1997. © Christine Strub

Lothar Schirmer war und ist eigenständig und unangepasst; zugleich betont er, immer ein waches Auge auf den Zeitgeist zu haben: Der Verleger an seinem Schreibtisch. © Amelie Niederbuchner

Wer mit dem Münchner Kunstbuchverleger und Sammler Lothar Schirmer, Jahrgang 1945, schon einmal ein Interview gemacht hat, weiß, dass unweigerlich die Bienenkönigin angeflogen kommt. Nicht irgendeine, sondern die von Joseph Beuys. Kein Wunder also, dass sein Erinnerungsbuch „Die Bienenkönigin nährt am Ende alle …“ heißt. Sowohl im Vorwort wie im ersten Gespräch mit der Journalistin Magdalena Kröner ist die kleine dreidimensionale Arbeit von Beuys das Herzstück – weil sie den jungen Burschen Lothar in eine Kunstwelt stieß, die Hirn, Seele und Gemüt aufregte, aufraute und dadurch empfindsam, aufnahmefähig machte. Ohne dieses von Schirmer 1964 auf der dritten documenta als unappetitlich empfundene Werk hätten sich für den Mann nicht so viele unterschiedliche Kunstwege, -pfade und -prachtstraßen geöffnet.

Zum Glück für das Buch und die Leserschaft ist Schirmer obendrein ein guter und humorvoller Erzähler, sodass man sich wunderbar seine geschockten Eltern vorstellen kann. Der Sohn gab Geld aus für höchst odioses Zeug. Man sieht auch Beuys in seinem Düsseldorfer Atelier vor sich, der von einem 20-Jährigen besucht wird, der ihn beeindruckt haben muss. Und wie es das Schicksal will, bietet der Künstler ihm ausgerechnet „Bienenkönigin I“ zum Kauf an. Neben Zeichnungen ist sie der Ursprung einer heute imposanten Sammlung und der von 40 Büchern über Joseph Beuys. Über den Erstling gibt es natürlich wieder eine aufregende Geschichte zu berichten, denn mit jenem Zeichnungsband begann die Verlagsgeschichte.

Vor 50 Jahren wurde der heute sehr renommierte Verlag gegründet: Schirmer/Mosel. Im vorliegenden Buch taucht der geheimnisvolle Herr Mosel ebenso auf wie zahlreiche Berühmtheiten von Cindy Sherman bis Yves Saint Laurent, von Cy Twombly (39 Bücher) bis Hanna Schygulla, von Isabella Rossellini bis Helmut Newton. Erik Mosel engagiere sich zehn Jahre für den jungen und eigenwilligen Verlag, bis sich der Werbefachmann als stiller Teilhaber zurückzog. Man darf mit Fug und Recht sagen: Lothar Schirmer ist der Verlag. Und sein Credo fürs Büchermachen lautet: „Spaß, Ehre, Geld.“ Dieses „Drei-Punkte-System“ ist unternehmerisch aufgegangen.

Der Wahl-Münchner, ein Flüchtlingskind aus Thüringen, später im Rheinland und in Bremen sozialisiert und gelernter Betriebswirt, ist nicht nur eine amüsante Anekdoten-Schleuder, sondern ein in hohem Maße analytischer Denker. Das gibt den Gesprächen immer wieder Tiefe und den Lesenden nachdenkenswerte Anregungen, ohne dass Kunsthistoriker-Pfauenräder geschlagen würden. Schirmer war und ist eigenständig und unangepasst; zugleich betont er, immer ein waches Auge auf den Zeitgeist zu haben.

Dieses Nicht-hochnäsig-Sein, der umfassende Bilderhunger und eine lustvolle Bildbeziehung haben dafür gesorgt, dass im Verlags-(und Sammlungs-)programm Kunst, Fotografie, Film und Mode (Mama war Schneiderin) vertreten sind. Und zwar mal asketisch wie bei Hilla und Bernd Becher (24 Fotobände), Schirmers dritten Hausheiligen neben Beuys und Twombly, mal opulent wie bei den Glamour-Aufnahmen oder erotisch wie bei Robert Mapplethorpe.

Durch die Bechers lernte der Jungverleger – gezwungenermaßen bei den Perfektionisten –, was exzellente Fotos sind und wie man sie in Büchern exzellent realisiert (der Offsetdruck ließ noch zu wünschen übrig). Beste Qualität ließ nach einigem Ringen die Tore zu den „Heiligen Hallen“ von YSL aufspringen und verwandelte Filmrollen in eine richtig gute Abfolge von richtig guten Aufnahmen zwischen zwei Buchdeckeln; etwa bei Rainer Werner Fassbinder, Edgar Reitz und Werner Herzog.

Gesprächspartnerin Kröner hat sich gut auf die Aktivitätenfelder der Verleger- und Sammlerlegende Lothar Schirmer vorbereitet. Bei manchen Themen wäre es schön gewesen nachzubohren, gerade was die Münchner Kunstszene seit 1974 angeht. Da würde man von dem Zeitzeugen gern mehr erfahren.

Obwohl sie ihn beispielsweise nach hiesigen Kollegen fragt, bringt das nicht viel; am ehesten noch bei Dirk Ippen, dem Verleger unserer Zeitung. Der Schlenker zum „Boulevard in München“ zeigt Unkenntnis, die das Lektorat seltsamerweise nicht ausgebügelt hat. In der Frage werden „Münchner Merkur“ und „Süddeutsche Zeitung“ zu jener Gattung geschlagen. Obendrein taucht eine „Tageszeitung“ auf, die es nicht gibt; wahrscheinlich ist die „tz“ gemeint. Lothar Schirmers charmanter „Epilog mit Alten Meistern und einer Schachtel im Schrank“ lässt die Irritation jedoch schnell vergessen.
SIMONE DATTENBERGER

Lothar Schirmer:

„Die Bienenkönigin nährt am Ende alle … Gespräche zu Kunst und Büchern mit Magdalena Kröner“. Schirmer/Mosel,
München, 373 Seiten; 39,80 Euro.

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