„Musik ist noch immer mein Hobby“

von Redaktion

Jan Liesiecki über seine Stofftiere, nasse T-Shirts und den Münchner Beethoven-Zyklus

Beethovens sämtliche Klavierkonzerte plus dessen Tripelkonzert spielt und dirigiert Jan Lisiecki am 7., 8. und 9. Januar in der Münchner Isarphilharmonie. Karten unter Telefon 089/ 93 60 93 und www.muenchenticket.de. © Christoph Koestlin

In kürzester Zeit hat sich der kanadische Pianist Jan Lisiecki an die Weltspitze gespielt. Mit 15 bekam der Sohn polnischer Einwanderer einen Exklusivvertrag bei der Deutschen Grammophon; 2018 machte er Furore, als er bei einem Zyklus mit allen Beethoven-Klavierkonzerten für Murray Perahia einsprang. Mit demselben Ensemble wie damals, der Academy of St Martin in the Fields, die er vom Flügel aus leitet, präsentiert der 29-Jährige diese fünf Konzerte sowie das Tripelkonzert in München.

Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Klavier?

Es klang absolut grauenhaft. Ich war fünf, und ein Lehrer hatte mir empfohlen, ein Instrument zu lernen. Meine Eltern, beide Gartenbauer, waren ratlos – niemand in unserer Familie hatte ein Instrument gespielt. Aber ein Freund meiner Eltern besaß ein Klavier, das rund 300 Kilometer entfernt stand, und meinte: „Wenn ihr den Umzug bezahlt, schenke ich es euch.“ Das Teil entpuppte sich als Schrott: ein 100 Jahre alter Kasten, der nicht mehr gestimmt werden konnte. Es war keine Liebe auf den ersten Blick, doch allmählich wurde das Klavierspiel zu einem meiner Hobbys, so wie Schwimmen oder Skifahren.

Wann war es mehr als ein Hobby?

Es ist immer noch ein Hobby! Ich hatte das Glück, dass ich schon früh anfangen durfte, Konzerte zu geben – für mich die perfekte Motivation zum Üben. Ich leide nicht unter Lampenfieber und habe Auftritte stets geliebt, vor allem, weil ich dadurch reisen und andere Städte kennenlernen konnte. Zuvor war ich nie aus der Gegend um Calgary hinausgekommen. Meine Eltern sind davon überzeugt, dass meine Reiselust der wahre Grund dafür ist, dass ich Pianist geworden bin.

Ihre Eltern begleiten Sie oft auf den Tourneen.

Meine Mutter reist fast immer mit mir, manchmal auch mein Vater. Ich bin froh, dass wir nach wie vor viel Spaß zusammen haben. Unterwegs ist es mir wichtig, dass neben meinen Verpflichtungen genug Zeit für Entdeckungen bleibt, etwa für Museen und Galerien, und dass ich diese inspirierenden Erlebnisse mit jemandem teilen kann.

Gibt es etwas, das Sie überallhin mitnehmen?

Ein kleines Stofftier. Derzeit ist es ein Hase, den ich in Tschechien gekauft habe. Meine plüschigen Begleiter ändern sich von Zeit zu Zeit, weil diese Tiere dazu tendieren, nach ein paar Jahren einfach zu verschwinden, meistens in irgendeinem Hotelzimmer. Ich vermute, sie beschließen, heimlich auszuwandern.

Ihr erster Beethoven-Zyklus wurde 2018 im Berliner Konzerthaus mitgeschnitten. Wer die Aufnahme hört, kann es kaum fassen, dass sie live eingespielt wurde – und dass Sie kurzfristig eingesprungen sind.

Um die fünf Konzerte aufführungsreif einzustudieren, blieben mir nur knapp vier Wochen, in denen mein Terminkalender schon prall gefüllt war. Vor den drei Auftritten hatten wir jeweils bloß einen einstündigen Soundcheck – und nach dem letzten Konzert gab es keine Möglichkeit mehr, etwas zu korrigieren, weil der Saal anderweitig belegt war. Heute lässt sich ja bei Live-Aufnahmen eine Menge tricksen, doch wir haben wie in alten Zeiten gearbeitet – ohne Netz und doppelten Boden. Ich liebe so etwas!

Wieso machen Sie mit demselben Orchester noch mal einen Beethoven-Zyklus? Man würde vermuten, dass ein Virtuose wie Sie sich eher auf Rachmaninow- oder Prokofjew-Konzerte stürzt, mit denen man das Publikum viel leichter umhauen kann…

Ich habe keine Ambitionen, mit meiner Fingerfertigkeit anzugeben oder jemanden umzuhauen. Mir geht es stets um die innere Schönheit der Musik. Ja, ein Prokofjew-Zyklus wäre interessant, aber auch sehr anstrengend für alle Beteiligten. Anders als 2018 haben wir diesmal noch Beethovens Tripelkonzert im Gepäck, dessen Qualitäten äußerst kontrovers diskutiert werden. Auch ich habe eine klare Meinung dazu, freue mich aber trotzdem auf die Aufführung. Und ich finde es reizvoll, die populären Werke mit den weniger bekannten ersten beiden Klavierkonzerten zu kombinieren.

Diese beiden Konzerte würde ich aber auch nicht auf eine einsame Insel mitnehmen.

Ja, sie sind noch stark den damaligen Konventionen verhaftet, auch Beethoven selbst schätzte sein zweites Konzert nicht besonders, aber es gibt doch ein paar schöne Passagen. Höhepunkte sind für mich jeweils die Kadenzen im ersten Satz: so kühn und modern, dass man fast nicht glauben mag, dass sie tatsächlich von Beethoven stammen. Ich finde, die fünf Klavierkonzerte funktionieren deshalb als Zyklus so gut, weil man an ihnen sieht, wie Beethoven sich als Komponist entwickelt hat.

Wie kann man den unzähligen Interpretationen noch etwas Neues hinzufügen, ohne Beethovens Intentionen zu verbiegen?

Einfach dadurch, dass man all diese Interpretationen vergisst, den Notentext genau studiert und eine eigene Deutung entwickelt. Mein legendärer Landsmann Glenn Gould meinte: „Es ist sinnlos, ein Stück aufzunehmen, wenn man dazu nichts Neues zu sagen hat.“ Das stimmt, doch es bedeutet keineswegs, dass man dem Stück zwanghaft etwas Neues überstülpt. Meine Rolle als Interpret ist es nicht, Beethoven neu zu erfinden, sondern seine Musik lebendig zu halten.

Wie kann man mehr junge Leute für klassische Musik begeistern?

Bestimmt nicht, indem man sich im nassen T-Shirt ablichten lässt, seine Auftritte durch Lightshows aufmotzt oder den Leuten erlaubt, während eines Konzerts Bier zu trinken. Ich halte auch nichts davon, klassische Musik zu simplifizieren: Wenn sie auf höchstem Niveau dargeboten wird, spricht sie für sich. Ihre Stärke liegt gerade in der Ernsthaftigkeit und der nötigen Konzentration. Freikarten sind auch keine Lösung, weil man die Sache dadurch entwertet, aber es wäre wichtig, preiswerte Tickets für junge Menschen anzubieten. Entscheidend ist die Investition in Bildung. Wie ich höre, sollen in Bayerns Schulen die Fächer Musik, Kunst und Werken zusammengelegt und nur noch mit reduzierter Stundenzahl unterrichtet werden. Das wäre katastrophal. Ziel sollte es doch sein, junge Menschen ganz selbstverständlich an klassische Musik heranzuführen – schließlich ist sie ein integraler Bestandteil unserer Kultur!

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