Im Opernwunderland von Wilfried Hösl

von Redaktion

Bildband des Münchner Fotografen

Anna Netrebko in Verdis „La traviata“. © Wilfried Hösl

Ins Totenreich steigt Christian Gerhaher als Titelheld in Monteverdis „L‘Orfeo“ hinab. Die Inszenierung von David Bösch kam 2014 im Prinzregententheater heraus. © Wilfried Hösl

Manchmal lauerte er seinen „Opfern“ in der Garderobe auf. Oder auf dem Gang hinter der Bühne, wo das Adrenalin oft gefährliche Pegel erreichte. Doch wenn Wilfried Hösl den Sängerinnen und Sängern, auch den Mitgliedern des Staatsballetts entgegentrat, war die Nervosität verflogen. Oder das Beste bei einem Fotografen: Er fiel gar nicht auf, verschwand irgendwie. Weil ihm alle in der Bayerischen Staatsoper blind vertrauten. Hösl, der das Haus kürzlich verließ, um in den Unruhestand zu treten, hat wie kaum ein anderer die Außenwirkung der Staatsoper geprägt. Manchmal mehr als die Inszenierungen selbst, die durch seine Fotokunst nicht nur dokumentiert, sondern in einigen Fällen sogar besser als in der Realität rüberkamen.

Eine Ausstellung im Nationaltheater blickte kürzlich auf drei Hösl-Jahrzehnte zurück. Wer sie verpasste oder seine Eindrücke vertiefen will, der muss zum prachtvollen Bildband „Through the Looking Glass“ greifen (erschienen bei Schirmer/Mosel, 49,80 Euro). Der Titel ist eine Anspielung auf das gleichnamige Kinderbuch von Lewis Carroll, bei uns unter „Alice hinter den Spiegeln“ bekannt. Und in ein solches Wunderland führt uns nun auch Wilfried Hösl. Beim Durchblättern erinnert man sich seufzend an Sternstunden der Staatsoper. Noch mehr faszinieren aber die intimen Momente, die oft mehr und Wahrhaftigeres über einen Abend erzählen als das Ausstattungsspektakel drum herum.

Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Marlis Petersen, Christian Gerhaher, Waltraud Meier, alle werden sie uns vielsagend nahegerückt– auch wenn uns Letztere in „Les Troyens“ von Berlioz nur den Rücken zuwendet. Das Bestechende an den Bildern von Wilfried Hösl: Sie halten die perfekte Balance zwischen Dokumentation und fotokünstlerischer Aussage. Hösl verkünstelt sich nicht wie manche Kolleginnen und Kollegen und schiebt sich mit seinen Bildkompositionen nie vor das Objekt. Die Motive sind von innen heraus erfühlt und gestaltet. Auch weil Hösl, der Opern-Nerd, um die Werke wusste, auch um die Inszenierungen. Er war und ist ständiger Begleiter der Produktionen, vor allem aber der daran beteiligten Menschen. Bilder von bestechender Intimität entstanden, die nie etwas voyeuristisch ausstellen. Ganz alte Schule ist das.
MARKUS THIEL

Wilfried Hösl:

„Through the Looking Glass“. Schirmer/Mosel, München,
240 Seiten; 49,80 Euro.

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