Kristall-Lüster als Turngeräte: Mauros Verflossene zeigen sich artistisch begabt.
Zwischen Dies- und Jenseits: Clown Mauro hebt mit Engeln ab.
Betthupferl auf die akrobatische Art.
Golf-Versuche mit einem widerspenstigen Ball.
Wahrhaft berührende Momente: Clownin Valentyna wird vom Publikum angestupst. © Martin Hangen
Gerade hat die junge Artistin an den elastischen Bändern ihren Partner aus luftiger Höhe abgesetzt und sich noch einmal gedreht wie eine Spindel auf Hyperspeed. Und keine Ahnung, wo sie ihn herzaubert – aber nun lässt sie Goldstaub auf die Bühne herabrieseln. Ein Schneekugel-Moment, den es so nur im Cirque du Soleil gibt: halsbrecherische Akrobatik und im nächsten Augenblick ein Glitzerbild, das man als Weihnachtspostkarte verschicken könnte.
Der Dezember ist brutal. Ein Knochenbrechermonat, in dem jeder darauf hinrödelt, bis zum „frohen Fest“ alles erledigt zu haben. Arbeit. Elternabende. Weihnachtsfeiern. Geschenkkauf. Deko der guten Stube. Doch dann sitzt man inmitten dieses Wahnsinns – die zwei Stunden hat man sich freigeschaufelt – in der nun wirklich nicht besonders einladenden Olympiahalle. Folgt „Corteo“, der komischen und traurigen Geschichte eines Clowns, der seiner eigenen Beerdigung beiwohnt. Und wie durch ein Wunder verlangsamt sich der Puls, die Kaumuskeln werden weich, die Augen glänzen. Der Zauber wirkt. Der Advent wird in dieser kurzen Zeit, wie er sein sollte: besinnlich.
Großen Anteil daran hat die prächtige Drehbühne, die der Cirque du Soleil mitten in die Halle gepflanzt hat. Eine von beiden Seiten einsehbare, offene Szenerie, in der das Publikum nicht nur die Artisten sieht, sondern auch die Zuschauer auf der anderen Seite. Anfangs sind riesige transparente Rollvorhänge im Barockstil vor beide Bühnenseiten gespannt, hinter denen die ersten Momente der Show sich schemenhaft entspinnen. Wir tauchen ab in einen Traum, und als der Stoff nach oben gerafft wird, sind wir mittendrin in der „Corteo“-Fantasie zwischen Dies- und Jenseits.
Corteo bedeutet auf Italienisch „Festzug”, eine fröhliche Prozession. Und genau die wird in dem fast 20 Jahre alten Stück zu Ehren eines verstorbenen Clowns namens Mauro veranstaltet. Gut 52 Menschen in karnevalesken Kostümen turnen, tanzen und spielen in wechselnden Konstellationen auf der Bühne, eine Mischung aus Opera buffa und Trauerparade in New Orleans. Die Geschichte, die sich anfangs andeutet – Mauro blickt, von Engeln geleitet, aufs Leben zurück –, löst sich im Laufe der Show zwar auf wie der Glitzerstaub. Aber darauf kommt es auch gar nicht an.
Denn diese Nummernrevue hat’s in sich: Mauros Kindheitserinnerungen manifestieren sich in einem akrobatischen Betthupferl – auf zwei Bettgestellen springen Artisten in Pyjamas waghalsig hin und her. Später entbrennt ein Wettkampf zwischen den Gauklern und Zirkusleuten: Auf einer Wippe katapultieren sich die Kontrahenten in die Höhe, drehen spektakuläre Salti und Schrauben. Am Doppel-Trapez lassen Bären von Männern ihre Kolleginnen herumfliegen. Keulen sausen bei der Jonglage gleich dutzendweise durch die Luft. Ein Mann benutzt eine ellenlange Leiter als Stelze und Turngerät. Währenddessen macht Mauro selbst Flugversuche mit seinen neuen Engelsflügeln.
Die Kinder im Publikum klopfen sich da natürlich auf die Schenkel – genauso wie bei den Golf-Versuchen von Clown Vittorio mit einem menschlichen Ball oder einer Theateraufführung der nicht wirklich verliebten Romeo und Julia. Der größte Spaß des Abends: als Mauro die Clownin Valentyna an vier Helium-Ballons befestigt ins Publikum segeln lässt. Die Zuschauer müssen die sich herabsenkende kleine Dame immer wieder anstupsen, um sie zu Mauro zurückzubefördern – wahrhaft berührende Momente.
Zwei Sänger, spanische Gitarren und kratzende Violine kommentieren das Geschehen musikalisch. Mancher zeigt dabei erstaunliche Talente: Der miesepetrige Zirkusdirektor entpuppt sich als Meister-Koloraturpfeifer, der sich mit dem Weißclown an der Geige ein kleines Gefecht liefert – von der „Diebischen Elster“ bis „Santa Claus is coming to Town“.
Irgendwann ist jeder Traum vorbei. Als der Goldstaub sich gelegt und der Vorhang gesenkt hat, geht es aus der Schneekugel zurück in die Vorweihnachtszeit. Immer noch verzaubert. Aber auch mit der bangen Sorge: Hoffentlich machen die Kinder das mit dem Betthupferl und der Wippe zu Hause nicht nach!
JOHANNES LÖHR
Weitere Shows
heute (16 und 20 Uhr), Samstag (12, 16, 20 Uhr), Sonntag (13 und 17 Uhr). Restkarten im Vorverkauf.