Wunderweiße Nächte können wir Ihnen nicht versprechen, liebe Leserinnen und Leser. Was wir Ihnen aber von Herzen wünschen: dass Sie das Schimmern der Sterne, das Rainer Maria Rilke (1875-1926) in den Zeilen auf unserem großen Seitenfoto so herzerwärmend beschreibt, nicht übersehen. Auch wenn die Welt manchmal furchtbar dunkel wirkt: Die Sterne sind immer da. Der Lappan Verlag hat einen Literarischen Kalender mit Rilke-Gedichten und passenden Illustrationen von Melanie Garanin herausgegeben, daraus stammen Bild und Text (unverbindliche Preisempfehlung: 14 Euro). Auch dieser Kalender reiht sich damit ein in unsere Geschenktipp-Riege. Von Januar bis Dezember finden sich hier zwölf ermunternde oder nachdenklich stimmende Zeilen, versehen mit ansprechenden Zeichnungen. Ein hübsches Geschenk, das den Beschenkten 2025 frohgemut durchs Jahr trägt. Wie heißt’s auf dem Titelblatt des Kalenders? „Will dir den Frühling zeigen, der hundert Wunder hat“ – erkennen wir sie!
Der Literaturnobelpreis kann eben doch mehr sein als Small-Talk-Futter für Bücherfreaks und Feuilletonisten. Als die Auszeichnung vor fünf Jahren Olga Tokarczuk zuerkannt wurde, rückte die polnische Autorin auch im Westen endlich in den Fokus der Wahrnehmung. Der Schweizer Kampa-Verlag betreut gewissenhaft ihr Werk und hat vor wenigen Wochen ihren Roman „E.E.“ erstmals auf Deutsch vorgelegt.
In Polen ist das Buch im Jahr 1995 erschienen. Rückblickend markiert es jenen Punkt in Tokarczuks Leben, an dem sie sich entschied, nicht mehr als Psychologin zu arbeiten, sondern vom Schreiben zu leben. Ihr zweiter Roman trägt die Initialen der Protagonistin im Titel. Erna Eltzner wächst 1908 in Breslau als mittlere Tochter einer bürgerlichen, kinderreichen Familie auf. „Aus dem Nebel der Unbestimmtheit“, wie ihr Dasein auf der ersten Seite beschrieben wird, tritt sie, als sie in die Pubertät kommt: Erna wird bei Tisch ohnmächtig, hört Stimmen von Menschen, die nicht anwesend sind, sieht gar einen Geist. Vor allem ihre Mutter ist fortan in heller Aufregung – taugt ihre Tochter etwa als Medium, als Mittlerin zwischen unserer Welt und jener anderen, die wir betreten, sobald wir die Schwelle des Todes überschreiten? Experten und Esoteriker werden konsultiert, Séancen abgehalten – und Erna wird zum Fall „E.E.“.
In recht kurzen Kapiteln beleuchtet Tokarczuk, was nun geschieht: Ihr Interesse gilt jenen Menschen, die mit um den Tisch sitzen, als Erna mit den Verstorbenen in Kontakt tritt. In knapper, lakonischer Sprache schildert die Autorin die jeweiligen Biografien. Ihr Interesse am Unwahrscheinlichen, am Übersinnlichen, am Unerklärlichen, das sich in vielen ihrer Werke zeigt, ist bereits hier erkennbar. Sehr ansprechend glückt ihr zudem die Schilderung der Atmosphäre zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als dem Menschen alles möglich schien.
Gleichwohl ist „E.E.“ (natürlich) um einiges entfernt von der erzählerischen Reife und Eleganz der späteren Romane. Wer hier gar eine frühe Ausgabe der wundersamen „Jakobsbücher“, Tokarczuks Opus magnum, erwartet, wird enttäuscht sein. Wer allerdings das Werden einer späteren Nobelpreisträgerin nachvollziehen will und erfahren möchte, wie die heute 62-Jährige ihre Stimme als Autorin gefunden hat, sollte sich dringend auf eine Séance mit Erna Eltzner einlassen.
LEIC
Olga Tokarczuk:
„E.E.“. Aus dem Polnischen
von Lothar Quinkenstein.
Kampa-Verlag, Zürich, 304 Seiten; 25 Euro.