PREMIERE

Pariser Raumpatrouille

von Redaktion

Operetten-Glücksfall in Regensburg mit Offenbachs „Die Reise zum Mond“

Barockgockel auf dem Weg ins All: Szene mit Mikroskop (Kontantin Igl, 2.v.li.), König Zack (Giulio Alvise Caselli, Mi.) und Patrizia Häusermann als Prinz Caprice (4.v.li.). © Marie Liebig

Und was wäre, wenn wir die Aliens sind? Wenn wir in einer anderen Welt einschlagen, auf dass wir dort unsere Sitten und Gebräuche als Allheilmittel durchsetzen wollen? Nein, die Rede ist nicht von dickbäuchigen deutschen Touristen in Antalya. Das Gedankenexperiment machte 1875 ein Deutsch-Franzose, indem er die Romane von Jules Verne ummodelte zu einem Bühnenstück. Und da wir bei Jacques Offenbach sind, gibt es weder Klangseife noch Handlungsschmalz, sondern Subversives. „Die Reise zum Mond“ hat sich kaum auf unseren Bühnen gehalten. Warum, das lässt sich kaum erklären – erst recht nicht nach dieser Wiederbelebung am Theater Regensburg.

Die Oberpfälzer öffnen für den Zweieinhalbstünder alle Theaterschleusen. Kostümwechsel im gefühlten FünfMinuten-Takt, Kulissen im ironisch handgemachten Schick, intelligent eingesetzte Videos, dazu hochtourige Ballett-Einlagen, es gibt ordentlich was auf die Augen. Offenbach und seine drei Librettisten erzählen vom irdischen König Zack, der sich mit seinem Sprössling Prinz Caprice und dem Hofgelehrten Mikroskop per Kanone auf den ersehnten Mond schießen lässt.

Dort treffen sie auf Befremdliches. Im Regime unter König Kosmos müssen Frauen an den Herd, sind Luxus-Accessoire oder werden versteigert. Den Nachwuchs bezieht man aus dem Kinderland. Liebe gilt als Krankheit. Dumm nur, dass die Erdlinge im Proviant Äpfel dabeihaben: Wer hineinbeißt, dem steigen die Säfte. Mondprinzessin Fantasia verliebt sich darob in Caprice – und wird ihn, nach heillosen Verwirrungen und operettengerecht, auch bekommen. Ein jubelndes Volk, das seinen Monarchen per Kanonenschuss endlich loswird, die bröckelnde Macht der Krone, dazu eine Portion Feminismus (die Erde leistet sich ausschließlich Astronominnen) und ein verbogener Rechtsstaat (der Mond hat nur einen Juristen als Verteidiger und Staatsanwalt): Das Stück strotzt vor galliger Gesellschaftsanalyse, die einem Offenbach & Co. mit abstruser Handlung und unwiderstehlicher Musik unterjubeln. Es ist ein Gruß aus goldenen Zeiten, als Grundsatzkritik solche Operetten und nicht die AfD gebar.

Regisseur Simon Eichenberger tappt in Regensburg nicht in die Modernismus-Falle. Sein König Zack ist ein BarockGockel à la Ludwig XIV. und trifft auf dem Erdtrabanten Wesen zwischen „Raumpatrouille“ und „Star Trek“. Das Stück, dies augenzwinkert die Aufführung, ist so eindeutig zweideutig, da braucht‘s keine Herholung ins Heute. Was nicht heißt, dass es keine Aktualisierungen gibt. Doch die werden nicht ausgestellt, sondern listig eingebaut: angefangen von den Einkaufstüten der Frauen mit verfremdeten Edel-Marken über den Reiseproviant der Erdlinge (neben Äpfeln auch Weißwürste und Haribo) bis hin zu wie weggesprochenen Pointen: Hat da, Söder hilf, nicht gerade einer gegendert? Die Ausstattung von Sam Madwar (Bühne, Videos) und Susanne Hubrich (Kostüme) ist eine Augenweide. Das Allererstaunlichste ist aber das Timing. Schon die Premiere flutscht, als laufe die Produktion seit Wochen. Enorm viel Probenarbeit steckt in diesem Abend. Rasante Dialoge, Musiknummern mit fast perfektem Drive und Ballett-Einlagen greifen fugenlos ineinander. Dominique Brooks-Daw hat für die Regensburger Tanzcompany Choreografien zwischen Traumvision und Faschingsgarde ersonnen. Alles ist stückgemäß aufgekratzt, doch nie kurz vor dem Kolbenfresser.

Wie übrigens auch das, was sich im Graben tut. Dort steht Tom Woods und hat den Mitgliedern des Philharmonischen Orchesters hörbar dreifache Espressi verabreicht. Der Offenbach‘sche Stilmix zwischen duftiger Lyrik, Walzer-Charme und heißlaufendem Can-Can wird bedient. Und immer ist Sorgsamkeit und Stilbewusstsein zu spüren im Umgang mit der auseinanderstrebenden Partitur. Die Kürzungen tun ihr Übriges: Die Ouvertüre gibt‘s nur mehr als Rumpfstück und manchmal nur eine Strophe der Arien.

Auf der Bühne sind ausschließlich liebenswürdige Typen unterwegs. Giulio Alvise Caselli als gespreizter König Zack, die fernherbstimmige Patrizia Häusermann (Prinz Caprice), der überdrehte Konstantin Igl (Mikroskop), Jonas Atwood als dauerirritierter König Kosmos und die lustvoll sopranbizarre Sophie Bareis als Prinzessin Fantasia – sie und alle anderen verraten ihre Rollen nicht an die Knallcharge. Nonsens ist hier eine Tugend. Dass nicht nur die Dialoge, sondern auch die Gesangsnummern per Mikroport verstärkt werden, bringt zwar Textverständlichkeit, zuweilen aber einen Trommelfelltest. Letzteren wagt auch das Publikum: ungetrübter Premierenjubel. Solch intelligenten Eskapismus lässt man sich in Zeiten wie diesen doch gefallen.

Nächste Vorstellungen

am 28., 31. Dezember (2x)
sowie 10., 21., 29. Januar;
Telefon 0941/ 507 24 24.

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