Kaltstart im Forte

von Redaktion

Jonas Kaufmanns Tiroler Intendanz beginnt mit Puccinis „La bohème“

Der Star und sein neues Reich: Jonas Kaufmann vor dem Festspielhaus in Erl. © Xiomara Bender

Wenn die Liebe erblüht: Szene mit Long Long als Rodolfo und Sara Cortolezzis als Mimì in der Inszenierung von Bárbara Lluch und im Bühnenbild von Alfons Flores. © Xiomara Bender

Wangenbussis mit den Mäzenen Ulrike und Hans Peter Haselsteiner, das ist neu in Erl. Mit Bernd Loebe, dem knorrigen Ex-Intendanten, hätte man sich das auch nur schwer vorstellen können. Doch Nachfolger Jonas Kaufmann und Gattin Christiane Lutz setzen auf Hautnahes, ein bisschen zu offensichtlich – irgendwann haben es fast alle im abgedunkelten Festspielhaus registriert. Und das halblaute Gespräch der beiden Paare vor Opernbeginn noch dazu. Ansonsten meidet Kaufmann an diesem Premierenabend das Rampenlicht, was überrascht. Gerade weil die Tiroler Festspiele doch mit ihm als Star-Label wuchern wollen. Keine Rede, nicht mal eine Begrüßung vor dem Vorhang. Immerhin hört man den Neu-Intendanten: Per Tonkonserve spricht er die übliche Handy-Warnung aus, eingeleitet von einem ortsüblichen „Griaß Enk“.

Der Winter-Hit „La bohème“ zum Auftakt der Winter-Festspiele unter neuer Führung, das ist so überraschend wie Weihrauch und Myrrhe am 6. Januar. Eine sichere Miete, das Haus ist voll, das Publikum begeistert. Wobei (Ansätze einer Erler Dramaturgie?) diese Puccini-Premiere wenigstens etwas wider den Stachel löckt.

Zwar beginnt alles klassisch in einer hier sehr blank gewienerten Kammer. Doch Regisseurin Bárbara Lluch lässt das Geschehen ins Surreale gleiten. Im Pariser Volksbild, einzige Massenszene des Stücks, scheint es, als ob stilisierte Spiel- und Varietéfiguren alles nachstellen und kommentieren und von der weiblichen Hauptfigur erlebt werden: Mimì im Wunderland. Das dritte Bild, eigentlich vor Zollschranke und Taverne angesiedelt, zeigt schon ihr Todesbett auf verschneitem Boden und vor einem einsamen Türrahmen à la René Magritte. Immer wieder tauchen kindhafte Wiedergängerinnen auf, die Todgeweihte begegnet sich selbst: ein Einfall, der nicht ausgeführt wird und Garnierung bleibt.

Ansonsten erfindet die Aufführung „La bohème“ nicht neu, so war mutmaßlich auch Kaufmanns Plan. Ebenso, dass für die erste Produktion seiner Amtszeit Kolleginnen und Kollegen aus dem ersten Karriereviertel engagiert werden: eine Maßnahme zwischen Nachwuchsförderung und Gagen-Einsparung. Kaufmann, vor allem aber sein Castingdirektor Ilias Tzempetonidis offerieren da durchaus ansprechende Besetzungen. An der Spitze Long Long als Rodolfo, der erst während der Proben einsprang und einst im Münchner Opernstudio sozialisiert wurde. Eine lyrische Stimme mit Kern, biegsam und elegant geführt. Seinen Tenor könnte Long Long in der Höhe unverspannt aufblühen lassen, wenn da nicht die Situation im Graben wäre.

Dort steht der neue Chefdirigent Asher Fisch vor einem viel zu groß besetzten Orchester. In der heiklen, halligen, ab einer bestimmten Dezibelschwelle zum Dröhnen neigenden Akustik ist das fatal. Fisch liefert eine 1A-, manchmal auch 1B-Kapellmeisterarbeit ab. Alles umsichtig und gekonnt gelotst. Sentiment gibt es kaum, besonders vor der Pause wird die Musik sehnig und straff organisiert. Wer da Gefühliges vermisst: Puccinis ohnehin zuckrige Partitur braucht keinen Süßstoff der Interpreten.

Doch manche Sängerinnen und Sänger können sich gegen die Orchesterfülle nicht durchsetzen. Sara Cortolezzis etwa als Mimì mit ihrem feinen, filigranen Sopran. Auch Tommaso Barea als lyrischer, gedeckt gestaltender Marcello. Eher Liam James Karai, der als Schaunard die Riege der mittellosen Mansarden-Jungs anführt. Victoria Randem funktioniert als Musetta-Typ ideal, vokal scheint sie nicht ganz im richtigen Fach unterwegs.

Einsamkeit und (innere) Leere spiegeln sich wider im Bühnenbild von Alfons Flores. Oft werden Zimmerwände transparent oder verschwinden ganz. Die rudimentäre Erler Technik, vor allem der begrenzte Bühnenraum wird mit Videos von Mar Flores Flo überspielt. Die zeigen gern Florales: Wer will, kann sich über die Symbolik von weißen Rosen oder einer gelben Frühlingswiese Gedanken machen. Die Reduktion aus Not kommt „La bohème“ sogar zugute – auch wenn die Regie die Freiräume nicht ganz füllt.

Heftiger Applaus, Puccini funktioniert ja immer, selbst im unterkühlten Geschehen wie in diesem Fall. Wer sich das Spektakel um Jonas Kaufmanns neues Karriere-Standbein wegdenkt, wähnt sich allerdings wie im alten Erl. Italienisches zur Jahreswende, das ist seit Festspielgründer Gustav Kuhn so Sitte. Auch Nachfolger Bernd Loebe hielt hier Kurs. Und wenn er ein Stück mit Winterthematik programmierte, dann meist ein Randpflänzchen des Repertoires. Jonas Kaufmann und sein Team haben daher einen listigen Slogan für ihr Tun: „Neu bleiben“.

Wie sich die Tiroler Festspiele behaupten könnten? Womöglich funktioniert Erl wirklich nur über Promi-Namen. Das war beim geschassten Gründer Gustav Kuhn so, dies zeigte auch die stark nachgefragte „Ring“-Inszenierung von Brigitte Fassbaender. Und das war auch der Hintergedanke des milliardenschweren Festspielpräsidenten Hans Peter Haselsteiner, als er Kaufmann holte. Was bedeutet: Dieser müsste Erl stets präsent und sichtbar zu seiner ganz persönlichen Sache machen.

Weitere Vorstellungen

am 3. und 5. Januar; Karten
und genaues Programm
unter tiroler-festspiele.at.

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