Erster Solist im Bayerischen Staatsballett ist Jakob Feyferlik seit der Spielzeit 2023/2024. Er bringt Erfahrungen unter anderem aus dem Wiener Staatsballett mit.
Reiche Erfahrung: Die Entwicklung der Tanztechnik hat Ballettmeisterin Judith Turos in ihrer Karriere am eigenen Leibe miterlebt. © Nicholas MacKay (3)
Fast schon akrobatisch seien moderne Hebefiguren, sagt Ballettmeister Thomas Mayr.
Sieht federleicht aus – ist aber hammerharte Arbeit: Jakob Feyferlik fliegt durch die Inszenierung von „Sylphide“ am Bayerischen Staatsballett. © Katja Lotter
Hat alles mit Louis XIV. begonnen? Ein Trendsetter für den Tanz war Frankreichs „Roi Soleil“ (1638-1715) auf jeden Fall. Nach eisernem Training beherrschte er schon als Teenager perfekt die Armführungen und Schritt-Kombinationen der Menuette en vogue. Er machte sogar seinen Rollennamen „Sonnenkönig“ zum Leitthema seiner Herrschaft. Hier docken wir an für einen Blick auf die erfolgreiche Weiterentwicklung der Tanzkunst, die Kopf, Körper und Psyche fordert – aber eben auch inspiriert.
Grundlage der klassischen Technik ist immer noch: das Exercice an der Stange, danach, frei durch den Raum, Schritte, Drehungen und Sprünge. Aber das zu bewältigende Repertoire umfasst heute neben den klassischen Balletten auch moderne und ultra postmoderne Werke. Konkretes Beispiel im Bayerischen Staatsballett: am 22. November 2024 der Neuzugang der klassisch-romantischen „Sylphide“ von Taglioni/Lafosse (1832/1972); im April 2025 dann Werke des neoklassisch-modernen Jirí Kylián, des experimentellen Sidi Larbi Cherkaoui und der Tanztheater-Koryphäe Pina Bausch. Da muss das Ensemble jeweils in einer ganz anderen Körpersprache und geistigen Einstellung agieren.
Dazu Thomas Mayr, Leitender Ballettmeister im Staatsballett: „Die Trainingsbasis bleibt bei mir die gleiche. Ich arbeite jedoch mit dem Ensemble jeweils verstärkt an gewissen Bewegungen im Hinblick auf die Stücke, die wir gerade aufführen.“ Anzunehmen, dass das Ensemble für „La Sylphide“ besonders trainiert werden muss wegen der häufig battierten, also der schnell am Bein angeschlagenen kleinen und großen Sprünge. Mayr, gebürtiger Münchner, Absolvent der hiesigen Ballettakademie, seit Jahren auch als Gast bis hin nach Stockholm und Florenz gefragt, erklärt dann noch Wissenswertes über Weiterentwicklungen im Ballett: „In den Pas de deux der älteren traditionellen Werke hält und stützt der Tänzer seine Partnerin jeweils in enger Körpernähe. Modernere Choreografien verlangen vom Partner jedoch schon fast akrobatische Abstützung der Tänzerin – und dies auch weiter von seinem eigenen Körper entfernt oder sogar nahe am Boden.“ Zur Demonstration beugt sich Mayr nach unten und zugleich weit vor. Macht so deutlich, dass beim Tänzer in dieser Haltung die Rücken- und auch die Bauchmuskulatur extrem gefordert wird. Wie komplex die Partnerarbeit in zeitnahen Werken ist, kann man diese Saison unter anderem in John Crankos „Romeo und Julia“ und in „Onegin“ bewundern. Crankos schwindelerregende „Über-Kopf-Hebungen“ gehören längst zum Pas-de-deuxVokabular.
Eine weitere Neuerung dann auch durch George Balanchine (1904-1983) und sein New York City Ballet: Die Neoklassik des gebürtigen St. Petersburgers entwickelte sich aus dem Stil der „kaiserlichen Ballettschule“ seiner Heimatstadt und Anregungen aus seiner Arbeit am Broadway und in Hollywood. Thomas Mayr erinnert hier an Stanley Williams, Balanchines renommierten Lehrer an der School of American Ballet bis 1997. „Williams war berühmt für sein Exercice, um Schnelligkeit zu trainieren, vor allem in der Arbeit der Füße und der Hüftmuskulatur.“ Jedes Ensemble, das einen Balanchine im Repertoire hat, profitiert von dieser elegant sportlichen Neoklassik.
Aber die Tanztechnik wird immer wieder neu bereichert, wie es Ballettmeisterin Judith Turos erlebt hat. Die Rumänin ungarischer Abstammung erhielt an der Moskauer Ballettakademie die weltweit renommierte Waganowa-Ausbildung. Mit 20 Engagement in München und hier Karriere bis zur Ersten Solistin – im klassischen wie auch im modernen Fach. Aus ihrer reichen Erfahrung hier ihre Beschreibung von der Arbeit des schwedischen Tänzers und Choreografen Mats Ek: „Bei der Münchner Einstudierung seiner ‚Giselle‘ trainerte er sogar selbst mit – überraschend in einem verlangsamten Tempo. Für ihn war wichtig, bei den ‚pliés‘ extrem in die Tiefe zu gehen, um dann beim Sprung mehr Höhe zu erreichen. In seinem Cullberg Ballett waren auch alle sehr muskulös, hatten eine innere Kraft.“ Turos, wie den Münchnern sicher bekannt, tanzte die großen Handlungsballette von John Cranko und John Neumeier bis zu Balanchines Neoklassik und Lucinda Childs Postmoderne.
Jakob Feyferlik, seit der Spielzeit 2023/2024 erster Solist im Bayerischen Staatsballett, bringt Erfahrungen mit aus dem Wiener Staatsballett und dem Niederländischen Nationalballett. In Amsterdam, so Feyferlik, gehe man sehr auf das stilistisch komplexe Repertoire ein: „Jeder im Ensemble hat täglich die Wahl zwischen verschiedenen Trainings von jeweils anderen Ballettmeistern.“ Eine kluge Regelung, da man sich so gezielt auf eine gerade anstehende Rolle vorbereiten kann. Außerdem gebe es ein extrem gutes Gesundheitssystem mit Physiotherapie, psychologischer und Ernährungsberatung. Feyferlik resümiert: „Ballett heute ist Kunstform und Hochleistungssport.“
Auch das Bayerische Staatsballett organisiert sich in diesem Sinn. Ein festangestellter Physiotherapeut ist bei jeder Vorstellung anwesend. „Darüber hinaus“, so Pressechefin Annette Baumann, „haben wir mit sechs externen Einrichtungen Kooperationsverträge für Physiotherapie, Pilates und Girotonic“. Letztere beide sind systematische Ganzkörpertrainings auf der Matte und an speziellen Geräten zur Kräftigung der Muskulatur und der Wirbelsäule. Alle Staatsballettler haben ein individuelles Budget zur Verfügung, das sie in Therapie- oder Trainingssessions anlegen können. Ziel ist sowohl Prophylaxe als auch Rehabilitation.
MALVE GRADINGER